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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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Maresciallo erschauderte beim Gedanken an ein solches Leben. Was für ein sonderbarer Mensch Benozzetti doch war. Eine bestechende Intelligenz, scharfsinnig, ja sogar aggressiv, und doch so leicht ablenkbar. Lag es daran, daß ihn so vieles erzürnte, so daß er auf alles, was seine Aufmerksamkeit beanspruchte, losging wie ein gereizter Stier? Oder war er gesellschaftlichen Umgang so wenig gewohnt, daß er keine Erfahrung darin besaß, ein Gespräch zu steuern? Wenn dies zutraf, war der Maresciallo ihm gegenüber im Vorteil. Er war durchaus daran gewöhnt, Gespräche zu steuern, vor allem durch die Macht der Trägheit. Ganz anders als Benozzetti, der nun schon wieder auf den Beinen war, vielleicht erpicht darauf, seinen Besucher endlich loszuwerden. Sei's drum. Der Maresciallo erhob sich und wartete schweigend darauf, daß man ihn fortschickte. Doch Benozzetti schritt zum anderen Ende des langen Raums.
    »Kommen Sie hierher.«
    Der Maresciallo folgte der Aufforderung, die ihn an den zwei großen Safes vorüberführte, nur zu gern. Eine Frage diesbezüglich wollte er allerdings in diesem Augenblick noch nicht riskieren… Er ermahnte sich im stillen. Was bildete er sich denn ein? Das war doch kein Fall, an dem er arbeitete. Er mußte sich ins Gedächtnis zurückrufen, daß es durchaus der Wahrheit entsprach, daß er ein Freund der Familie war. Es gab keinen Grund, jemals wieder einen Fuß in diesen Raum zu setzen, wenn er Benozzetti erst dazu gebracht hatte, in Marcos Atelier zu gehen und das Bild zu sehen; dann hatte er sein Teil getan.
    »Hierher.«
    Er hatte keine Zeit zu überlegen, ob er ihn bereits überzeugt hatte oder nicht… wo zum Teufel war der Mann denn hingegangen?
    »Hierher, Maresciallo.«
    Er stand hinter einer riesigen Staffelei und nahm vorsichtig das Tuch ab, mit dem ein Gemälde abgedeckt war. Dem Maresciallo rutschte das Herz in die Hose. Gleich wurde ihm ein Bild gezeigt, und er mußte sich dazu äußern. Jedesmal, wenn er gezwungen war, eine Ausstellungseröffnung in der Palatinischen Galerie im Palazzo Pitti, in dem sich seine Wache befand, zu besuchen, ermahnte seine Frau ihn: »Halt den Mund, Salva, und hör dir an, was Dr. Biondini sagt. Vielleicht lernst du ja etwas.«
    Und er gab sich alle Mühe, doch obwohl sich das, was Dr. Biondini, der Leiter der Galerie, sagte, klar und verständlich anhörte, während er es sagte, konnte sich der Maresciallo nichts davon länger als ein paar Minuten merken. Denn wenn Biondini dann jeweils auf ihn zukam, um ihn zu begrüßen und zu fragen, wie er die Ausstellung finde, schien er immer das Falsche zu sagen. Manchmal schaute er einfach verwirrt und freundlich drein und hielt schnell Ausschau nach jemandem, mit dem er unbedingt sprechen mußte. Wenigstens war Biondini ein Mensch, der, obwohl er so viel wußte, nichts Dünkelhaftes an sich hatte und einem nicht das Gefühl vermittelte, sich der eigenen Unwissenheit schämen zu müssen – deshalb waren die Besuche in der Galerie keine besondere Qual. Benozzetti hingegen schien dem Maresciallo, der nun um die Staffelei herumging, von ganz anderem Schlag zu sein, und es war wohl das beste, dem Rat seiner Frau gemäß den Mund zu halten.
    »Ah…«
    Der erlösende Seufzer entfuhr dem Maresciallo, ehe er sich dessen bewußt war.
    »Ja, ich bin froh, daß Sie es schätzen. Ich zeige es Ihnen, um Ihnen etwas zu demonstrieren. Natürlich ist es ein wunderschönes Gemälde.«
    »Wunderschön«, sagte der Maresciallo zufrieden. Damit konnte er etwas anfangen. Das Schöne an dem Gemälde war, daß es ihm so vertraut war wie sein Spiegelbild. Es war das Bild, das im zweiten Raum der Galleria Palatina neben einem bequemen Sessel hing, auf dem den größten Teil des Tages sein guter Freund Mario Di Luciano, der Kustos, ebenfalls ein Sizilianer, ruhte. Mario stammte aus derselben kleinen Stadt in der Provinz Siracusa, und er plauderte gern über die alten Zeiten zu Hause. Der Maresciallo hatte vermutlich ebensoviel Zeit vor dem Gemälde verbracht wie Tizian. Was für ein Glücksfall.
    Benozzetti dozierte weiter, steigerte sich allmählich in eine Tirade über die Qualität der modernen Malerei – nein, der modernen Farben – hinein.
    »Akrylfarben! Nach fünf Jahren verblassen sie bereits, nach zehn Jahren lösen sie sich auf! Sehen Sie sich die Fleischtöne auf diesem Porträt an! Schauen Sie, hier und hier! Fleischtöne dieser Qualität entwickeln sich immer weiter und gelangen erst in einem Zeitraum von
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