Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
hinzugehen. Ich gab zu bedenken, seine Staffelei könnte kaputt sein, und bot ihm die meine an. Der Dummkopf nahm sie an und bedankte sich sogar! Beweist das nicht, wie idiotisch Menschen sein können? Er hätte doch sofort Verdacht schöpfen müssen. Welchen Grund hatte ich denn, ihm behilflich zu sein? Und so ein Schwachkopf meint, mich beurteilen zu können! Sie können sich sicher vorstellen, wie sehr es mich gelüstete, ihm reinen Wein einzuschenken, doch das tat ich nicht. Während er noch traurig sein Bild betrachtete, das unrettbar verdorben war, ließ ich ihn stehen und setzte mich wieder.«
    Der Maresciallo wünschte sich, dasselbe tun zu können. Es mußte schon spät sein, denn er war inzwischen nicht nur müde, sondern verspürte auch Hunger. Über Benozzettis maßgeschneiderte Schulter hinweg schauten die Augen des hübschen jungen Mannes auf dem Porträt ruhig auf ihn herab. Daß sein Porträt diesen Sturm der Wut auslösen konnte, hätte ihn gewiß ebenso verwundert wie den Maresciallo. Worüber schwadronierte der Mensch denn jetzt schon wieder?
    »Sie glauben, daß ich allein über Inhalt spreche, aber da täuschen Sie sich. Sie täuschen sich, weil der Wert, der wirkliche Wert des Inhalts sich nur anhand der verwendeten Materialien ermessen läßt. Eine Kathedrale wird aus Stein und Marmor und abgelagertem Holz errichtet, aber eine Garage oder einen Werkzeugschuppen kann man aus rostigem Metall zusammenflicken – Marmor würde man dafür nicht verwenden. Und aus welchem Grund? Weil die Idee, der Inhalt sozusagen, keinen Wert an sich hat und weil der Schuppen nicht für die Ewigkeit gebaut ist. Wertlose Materialien für wertlose Ideen!«
    Der Finger, der vor der Nase des Maresciallo herumgefuchtelt hatte, wurde plötzlich weggezogen. Benozzetti griff nach einem dicken Band im Regal neben ihnen und blätterte ihn durch. Der Maresciallo schaute seinen vertrauten Freund auf dem Gemälde an und murmelte vor sich hin: »Trotzdem komisch…«
    Es ließ ihm immer noch keine Ruhe. Es war einfach nicht von der Hand zu weisen, daß die Entfernung, bei der das Gemälde nicht mehr nur Kleckserei war, sondern so deutlich wurde wie eine Fotografie, immer einen Schritt mehr erforderte als sonst. Ob er danach fragen durfte? Warum nicht? Es war natürlich gut möglich, daß er damit eine neue Lawine lostrat, und vielleicht würde er der Antwort auch nicht folgen können, aber… »Schauen Sie. Hier. Und hier.«
    Es waren Zeichnungen, die dem Maresciallo gezeigt wurden, eine ganze Seite voll. Alles Hände.
    »Ich möchte Ihnen etwas über diese Tinte sagen.«
    »Ich – erlauben Sie, daß ich Ihnen eine Frage stelle? Ich möchte Sie bei der Tinte und so weiter nicht unterbrechen, aber es geht um dieses Bild…«
    »Um was dabei?«
    »Irgend etwas ist anders daran, und ich dachte mir, Sie hätten vielleicht nichts dagegen, es mir zu erklären, da Sie so viel wissen. Es geht um etwas, was mich schon immer fasziniert hat, ich erinnere mich sogar daran, daß ich einmal Dr. Biondini danach gefragt habe, und seine Erklärung lief in etwa darauf hinaus, daß das im Gehirn des Betrachters passiert, daß es eine Illusion ist, die man selbst schafft, nur habe ich nie recht begriffen, warum es nicht den Abstand gibt, bei dem man genau sieht, wie es passiert. Wissen Sie, worauf ich hinauswill? Entweder hat man die Kleckse oder das vollkommene Bild vor sich, und man sieht nie, wie das geschieht. Ich drücke mich vermutlich nicht besonders geschickt aus, aber egal, was ich an diesem Bild nicht verstehe, ist, warum das bei vier Schritten Entfernung passiert und nicht bei drei, wie sonst immer bei Tizian – oder wie vielmehr bei mir immer… Natürlich, das Licht ist hier anders, könnte das vielleicht der Grund sein?«
    Er drehte sich zu Benozzetti um und wartete. Was hatte er angerichtet? Was war los mit dem Mann? Unter dem Blick des Maresciallo wich alle Farbe aus seinem roten Gesicht. Die Schlangenaugen schossen von dem Bild zum Maresciallo und wieder zurück. »Biondini?« war alles, was er sagte.
    »Das ist richtig. Der Kurator der Galleria Palatina. Er weiß sehr viel über Tizian.«
    »Ja? Und Sie, Maresciallo? Worüber wissen Sie viel?« Benozzettis Stimme war eisig. Er griff nach dem Tuch, das oben über der Staffelei hing.
    »Ich? Nichts. Ich will sagen, ich maße mir nicht an…«
    Dann begriff er. Wo in Gottes Namen hatte er nur seine Gedanken gehabt? Wie konnte er einen so dummen Fehler begehen? Was sollte denn das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher