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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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und betrachtete die lange Ladentheke, die mit dekorierten Kuchen und Torten gefüllt war und die schon bald von jungen Familien, die zum Sonntagsessen bei den Großeltern unterwegs waren, leergekauft werden würde.
    Von dem farbenfrohen Kontrast zu dem trüben Tag draußen angeregt, beschloß er, selbst einen Kuchen zu kaufen – am besten gleich, wo es noch viel Auswahl gab – und ihn, da er schwerlich mit einem schleifengeschmückten Päckchen vor seinem Capitano erscheinen konnte, auf dem Heimweg mitzunehmen.
    Er entschied sich für eine torta della nonna, eine mit Mandeln und Zuckerguß bedeckte Cremetorte, und bezahlte sie zusammen mit dem Kaffee. Als er die Via Borgo Ognissanti überquerte und in den Kreuzgang des ehemaligen Konvents eintrat, in dem jetzt das Polizeipräsidium untergebracht war, kam ihm ein Streifenwagen entgegen, der mit hoher Geschwindigkeit hinausfuhr und die sonntagmorgendliche Stille mit seiner Sirene durchschnitt.
    »Ich?«
    Der Maresciallo verstummte für einen Augenblick verblüfft, bevor ihm wieder klar wurde, wem er gegenübersaß. »Es tut mir leid… ich wollte nicht – ich war nur so überrascht.«
    Er forschte im Gesicht von Capitano Maestrangelo nach irgendeinem Anhaltspunkt, einem Hinweis wenigstens auf eine Erklärung, die aus seinen Worten nicht hervorging. Das einzige, was er davon ablesen konnte, war Verlegenheit und vielleicht auch Zorn. Der Capitano war nie sehr mitteilsam gewesen, doch der Maresciallo kannte ihn schon so viele Jahre, daß er normalerweise entziffern konnte, was sich hinter dem gutaussehenden, tiefernsten Gesicht abspielte. Diesmal jedoch wich ihm der Capitano mit seinem Blick aus, und nach einer kurzen Weile ließen die glatten braunen Hände den Stift, den sie zwischen den Fingern gedreht hatten, fallen, und der Capitano stand auf und ging zum Fenster hinüber. Dort blieb er stehen, dem Maresciallo den Rücken zukehrend, und schwieg.
    Warum ich? Warum gerade ich? Der Maresciallo schwieg ebenfalls, doch er ließ den Blick seiner bekümmerten, leicht vorstehenden Augen durch den Raum wandern, als könnten ihm die dunklen Ölgemälde, die weichen Ledersessel oder die Reihe der Armeekalender, die an roten Troddeln hingen, eine Antwort auf seine Frage geben. Das einzige, was ihm einfiel, war eine zweite Frage.
    »Und warum gerade jetzt? Mir ist nicht zu Ohren gekommen, daß irgend etwas passiert wäre. Er hat schon seit… wie lange… fünf Jahren nicht mehr getötet.«
    »Seit fünf Jahren, ja. Seit 1985.«
    »Ich weiß natürlich nicht viel von diesen Dingen, aber ich habe die, die etwas wissen, sagen gehört, es wäre auch gut möglich, daß er tot ist.«
    »Das wäre gut möglich, ja. Es könnte jedoch auch sein«, der Capitano wählte seine Worte mit Bedacht, »daß er wegen eines anderen Verbrechens im Gefängnis sitzt, nur zum Beispiel. Ich will damit sagen, es könnte auch andere Gründe dafür geben, daß er nicht mehr aktiv ist.«
    Ohne auf seine Worte zu achten, korrigierte sich der Maresciallo und stellte, so verbindlich wie möglich, die Frage anders: »Ist das die Meinung von diesem Simonetti?«
    Der Capitano zögerte und wandte ihm dann das Gesicht zu.
    »Ich hätte es besser wissen müssen. Ihnen kann man nichts vormachen, Guarnaccia. Ich werde uns Kaffee heraufkommen lassen.«
    Er kam herüber, setzte sich und drückte die Klingel auf seinem Schreibtisch. Und wieder nahm er seinen Stift in die Hand und wich dem Blick des Maresciallo aus.
    »Es kommt ja auch nicht oft vor, daß Sie mir etwas vormachen wollen. Sagen Sie mir nichts, was Sie nicht sagen dürfen.«
    Dann runzelte er die Stirn. »Simonetti… Ist das nicht der Vertreter den Anklagebehörde, den wir…«
    Ein junger Carabiniere erschien an der Tür. Der Capitano bestellte Kaffee und wartete, bis die Tür wieder geschlossen wurde.
    »Im Fall Becker, ja. Ich dachte, Sie würden sich an ihn erinnern.«
    »Du meine Güte.«
    »Genau.«
    Anständige Leute aus der Staatsanwaltschaft, die einen seine Arbeit machen ließen und einem, wenn nötig, Rückendeckung gaben, waren spärlich gesät, und zwischen den anderen und den Ermittlungsbeamten, die nach ihrer Pfeife tanzen mußten, gab es oft Unstimmigkeiten. Sich in die Gedankengänge eines Verbrechers hineinzuversetzen lernte man nicht auf der Universität oder in den Salons der feinen Gesellschaft. Die besten von ihnen wußten nichts, hörten aber denen, die etwas wußten, wenigstens zu. Die schlimmsten wußten nichts und hörten auf
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