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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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zweihundert Jahren zu voller Schönheit. Einem Maler, der solche Materialien verwendet, liegt die Malerei am Herzen und nicht, ob er sich in der nächsten Ausgabe einer trendigen Kunstzeitschrift wiederfindet.«
    So ging es immer weiter. Natürlich, Benozzetti hatte bestimmt recht, das ließ sich nicht leugnen. Man brauchte sich nur in dem Atelier umzusehen, um zu erkennen, daß der Mann ein Profi war und wußte, wovon er sprach. Nur bedeutete das nicht, daß jeder andere begriff, wovon er sprach, und der Maresciallo gab es bald auf, ihm folgen zu wollen. Fast automatisch, wie stets, wenn Mario, der Kustos, sich ganz in einer langatmigen Familiengeschichte verloren hatte, trat er einen Schritt zurück. Und noch einen. Dann wieder einen nach vorn.
    »Das ist komisch…«
    »Wie bitte?«
    Der Maresciallo trat zurück und wieder nach vorn, sich seiner unhöflichen Unterbrechung gar nicht bewußt. »Das ist ja ein Ding… oh, nichts, nur… wissen Sie, diese Bilder, wenn man dicht davorsteht, sehen sie aus wie Flecken und Spritzer, aber wenn man zurücktritt, sind sie so wirklich wie eine Fotografie. Oh, entschuldigen Sie, ich habe Sie unterbrochen…«
    Er wußte nicht mehr, was der Mensch gesagt hatte, konnte sich nur noch daran erinnern, daß es etwas über Farben gewesen war. Er bemühte sich, besser achtzugeben, doch er trat unwillkürlich abwechselnd immer wieder ein kleines Stück zurück und nach vorn, nur um zu prüfen, ob er sich nicht geirrt hatte.
    Entschlossen, die Aufmerksamkeit des Maresciallo wiederzugewinnen, postierte sich Benozzetti zwischen ihn und die Staffelei und setzte seinen zornigen Vortrag Auge in Auge fort. Wenn der Maresciallo zurückwich, folgte er ihm, hieb mit der rechten Faust im Rhythmus seiner Rede in die Luft und trieb dem Maresciallo Schwaden eines teuren Parfüms ins Gesicht.
    »Als ich zwanzig Jahre alt und Student der Akademie war…«
    Herrgott, gingen sie seine gesamte Lebensgeschichte durch? Wie spät mochte es sein? Ausgeschlossen, einmal auf die Armbanduhr schauen zu können, dieser wilde Blick ließ keine Sekunde von ihm ab. Schlangenaugen… »Und so was nennt sich Kunstprofessor! Schweigend ließ ich das aber nicht über mich ergehen, das kann ich Ihnen sagen, ich stand auf und unterbrach ihn. Ich sagte: ›Professor, Sie haben sich über fast jedes Bild in diesen Abschlußarbeiten geäußert. Darf ich Sie so verstehen, daß meine eigenen Arbeiten unsichtbar für Sie sind, oder sind sie einer Bemerkung Ihrerseits nicht würdig?‹ Und wissen Sie, was er geantwortet hat?«
    »Ich… nein…«
    Der Maresciallo wollte raus aus dem Dunstkreis des heißen Atems und des schweren Parfüms Benozzettis, doch der Mann blieb dicht vor ihm.
    »›Das einzige, was an Ihren Arbeiten erwähnenswert ist‹, erwiderte er, ohne meine Bilder oder mich auch nur eines Blickes zu würdigen, ›ist der außerordentlich altertümliche Stil.‹ Die anderen Studenten lachten. Sie lachten!«
    Er verstummte. Er starrte nun blicklos durch den Maresciallo hindurch. Ein paar Schweißtropfen sammelten sich an seinen Schläfen, und dann, völlig unvermittelt, begann er zu lachen. Ein grelles, freudloses Geräusch, das leicht ein gepreßtes Schluchzen sein konnte – der Maresciallo wagte es erst zu deuten, als der Mann weitersprach.
    »Ich habe es ihm aber hübsch heimgezahlt. Das war so lustig, daß ich die ganze Nacht über keinen Schlaf fand. Ich mußte natürlich bis zum Oktober warten, aber das machte mir nichts aus. Dadurch konnte ich mir den Sommer über ausdenken, wie ich das am besten bewerkstelligen konnte. Und dann hatte ich auch die zündende Idee. Sie müssen wissen, daß er, obwohl das gar nicht sein Fach war, häufig zu uns in den Malsaal kam, wenn das Modell oder die Pose ihn interessierten – und öfter war es das Modell, das versichere ich Ihnen. Er hatte dort eine Staffelei stehen und arbeitete gewöhnlich an einem Bild. Ich mußte nur warten, bis alle zum Mittagessen gegangen waren, die Halterungen lockerschrauben, die seine Leinwand hielten, und das Bild mit der Vorderseite nach unten auf den Boden fallen lassen. Ganz einfach, sehen Sie! Dann hatte ich das Vergnügen, mit ansehen zu können, wie er zurückkam und mit welch ratloser Miene er die Halterungen überprüfte. Beim ersten Mal säuberte er sein Bild, so gut es ging, und malte weiter, und ich wartete, bis er viel Arbeit hineingesteckt hatte, bevor es wieder in den Staub fiel. Dieses Mal konnte ich nicht widerstehen, zu ihm
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