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Die Macht der Angst (German Edition)

Die Macht der Angst (German Edition)

Titel: Die Macht der Angst (German Edition)
Autoren: Shannon McKenna
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voll. Wenn er könnte, würde er zum Militär gehen und Kampfjets fliegen. Nur so zum Spaß. So viel zum Thema Bewältigungsmechanismen. Aber die Armee würde nicht zulassen, dass jemand mit falscher Verdrahtung, einer fragwürdigen Identität und dazu noch einem schwarzen Loch in seinem Gedächtnis mit Hundert-Millionen-Dollar-Spielzeugen herumflog. Stattdessen würden sie ihn Motoren reinigen lassen. Vorausgesetzt, sie nahmen ihn überhaupt. Nein, er würde sich mit hochriskanten Sportarten begnügen müssen. Sie brachten ihm einen ungeheuren Nervenkitzel. Kev war süchtig danach, nach den Farben und Geräuschen. Dem überwältigenden Gefühl, lebendig zu sein, alles bewusst wahrzunehmen. Ohne Panikattacken.
    Er hatte sich das hier selbst zuzuschreiben. Jetzt würde er eben den Preis zahlen. Kev starrte auf die Kante des Wasserfalls. Die Tonnen von Wasser, die Dutzende Meter in die Tiefe krachten, ließen Wolken von Sprühnebel aufsteigen. Wie viele Dutzend Meter? Er versuchte, sich zu erinnern. Mehrere Dutzend. Mindestens acht.
Yippie
.
    Nicht, dass er Angst vor dem Tod verspürte. Höchstens Neugier. Bedauern, weil er nun niemals mehr eine Antwort auf die entscheidenden Fragen seiner Existenz bekommen würde, zumindest nicht als lebender Mensch, und wer wusste schon, was danach kam? Kev hatte nie darüber spekuliert. Sein derzeitiges sterbliches Dasein war bereits mit genügend Fragezeichen behaftet und das schon, solange er zurückdenken konnte. Also grob sein halbes Leben. Er wusste nicht, wie alt er war. Tony hatte ihn auf etwa zwanzig geschätzt, als er ihn vor achtzehn Jahren in dem Lagerhaus aus der Gewalt seines Peinigers gerettet hatte. Folglich müsste er inzwischen um die vierzig sein.
    Wenigstens würde der Junge es schaffen. Die Massen rauschenden Eiswassers machten Kev bewegungsunfähig, doch aus dem Augenwinkel bemerkte er Aktivität in den Bäumen, die das felsige Ufer säumten. Es wurden Rettungsmaßnahmen eingeleitet. Es waren außer Kev noch andere Leute an der Stelle gewesen, wo er angelegt hatte, als die Jugendlichen die Kontrolle über ihr Schlauchboot verloren hatten und ohne Ruder vorbeigetrudelt waren. Nur ein Mensch mit einem schwarzen Loch im Schädel konnte lebensmüde genug sein, ihnen an diesem Teil der Stromschnellen nachzusetzen, aber Kev hatte sich nicht die Zeit genommen, sich mit dieser unumstößlichen Wahrheit auseinanderzusetzen, sondern war blindlings seinem Instinkt gefolgt.
    Er hatte einen langen, aussichtslosen Kampf mit den Naturgewalten geführt, während der Fluss wilder und das Tosen des Wasserfalls lauter geworden war.
    Und der Tod grinsend auf ihn wartete. Froh, ihn wiederzusehen.
Hallo, alter Freund
.
    Vielleicht hatte Kev es unterbewusst sogar darauf angelegt gehabt. Bruno warf ihm jedes Mal, wenn er sich solch halsbrecherischen sportlichen Herausforderungen stellte, vor, von einem Todeswunsch beseelt zu sein. Gut möglich, dass er recht hatte. Aber es brachte nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Vor allem jetzt nicht mehr.
    Als er die Jungen erreichte, waren sie bereits gekentert. Er entdeckte einen auf- und abtauchenden Kopf und schaffte es durch reines Glück, einen der beiden aus dem Wasser zu ziehen. Dann stürzten sie in eine Gumpe, sein eigenes Schlauchboot kippte um, und sie wurden wie Zweige hin- und hergeworfen. Kev drückte den prustenden und wild mit den Armen rudernden Jungen an sich, während er sie beide mit aller Kraft über Wasser zu halten versuchte. Er hatte ihn unbedingt retten wollen. Um jeden Preis. Doch jetzt drohte er schlappzumachen. Dabei fühlte er sich seltsam schwerelos.
    Der andere Junge war über die Fallkante gestürzt. Das war unendlich grausam, und Kev empfand tiefes Bedauern. Für den zweiten war Hilfe unterwegs, aber die Gier, mit der das Wasser an dem Baum saugte, führte ihm die unerbittliche Wahrheit vor Augen.
    Er würde untergehen. Und zwar jeden Moment.
    Kev zwang sich, den Kopf zu drehen und zu dem Jungen zu sehen. Er war etwa sechzehn. Wie eine ertrinkende Ratte klammerte er sich an die geschützte Seite des Felsens, der den Wasserfall an der Kante in zwei lange dünne Schwänze teilte, denen er seinen Namen – Schwalbenschwanzfälle – verdankte. Der Druck des Wassers presste ihn gegen das massive Gestein. Er hätte sich nicht bewegen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Aber er würde überleben. Das war eine gute Nachricht.
    Es war weder ihrer Körperkraft noch ihrer Geschicklichkeit zu verdanken, dass
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