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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt
Autoren: Joyce Hinnefeld
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einseitig beschrieben, auf der linken Seite mit einem vier Zentimeter breiten roten Rand versehen – verfasst und eingeheftet in Dreiring-Ordner (20,3 x 25,4 cm). Addies Einträge sind mit Verweisen versehen, die sich auf die sorgfältig zusammengestellten Portfolios ihrer Zeichnungen und Gemäldestudien beziehen. Von ihrem Inhalt abgesehen, ist alles gemäß den von Professor Joseph Grinnell Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Berkeley eingeführten Aufzeichnungsmethoden angefertigt. »Keine Notizen am Tag, kein Schlaf in der Nacht!«, war Grinnells berühmter Spruch. Außerdem hatte der renommierte Naturforscher seine Studenten dazu angehalten, ihre Feldtagebücher
als öffentliche Dokumente zu betrachten, als Aufzeichnungen, die ihre Leser bilden und den Wissensschatz eines jeden erweitern sollten, der sie eines Tages in die Hände bekäme. Diese Konventionen für das Abfassen von Feldnotizen erläuterte Tom Kavanagh mit akribischer Detailtreue Addie und den anderen Teilnehmern seines Kurses Biologie der Vögel im Mai 1965 am Burnham College – jenem berüchtigten Kurs, der ihn fast seine Stelle gekostet hätte. Jenem Kurs, der ein Jahr Beurlaubung nach sich zog, was wiederum zu seinem einzigen Buch und zu Addies ersten, noch ungeschliffenen, aber bewegenden Vogelbildern führte – und letztendlich zu Scarlet.
    Scarlet besitzt sämtliche von Addies Notizbüchern außer einem, dem ersten, dem aus jenem fünfwöchigen Kurs im Mai, das die Frühjahrswanderung der Zugvögel durch die Wälder und Flüsse des östlichen Pennsylvania enthält. Das Notizbuch, mit dem sie Tom verführte. Es wird Scarlet gehören, hat er ihr gesagt, wenn er stirbt – bis dahin bleibt ihrer Vorstellung überlassen, was Addie darin geschrieben haben mag.
    Es gibt Momente, in denen sich Scarlet das trotz des manchmal langen und unerträglichen Schweigens ihrer Mutter recht gut vorstellen kann.
    Feldtagebucheintrag
    6. Mai 1965
Donnerstag
    Sunday Woods, Burnham, Bucks County, Pennsylvania (2 – 3 km über den Feldweg hinter dem naturwissenschaftlichen Institut vom Campus entfernt).
    Zeit : 05.20 – 06.30 – Plum Pond; 06.40 – 07.30 – große Wiese SÖ des Plum Pond.

    Beobachter : Kurs Biologie der Vögel am Burnham College (20 Studenten + Prof. Kavanagh).
    Habitat : hohe Gräser am schlammigen Ufer des Plum Pond, einem kleinen Süßwasserteich in einem natürlichen Becken inmitten von Kiefernwäldern mit Unterholz; Wiese 800 m sö des Teichs – früher mal Standort eines Wohnhauses (Fundament noch erkennbar, 18. Jh.?); Vegetation u. a. bestehend aus Sauerklee, jungen Farnen und Wiesenraute (oder auch Windröschen, wie Cora Davis’ Mutter sie nennt).
    Wetter : 14 °C; trocken, Wind aus unterschiedlichen Richtungen, Sonne, leichte Bewölkung – laut Professor Kavanagh 30 % Wolkendecke (ich weiß nicht genau, wie man das ermittelt).
    Bemerkungen : Einige der Mädchen waren lächerlich unpassend bekleidet, eine trug Sandalen; die Hälfte der Teilnehmer schien zu schlafwandeln, andere waren etwas wacher.
    BEOBACHTETE SPEZIES
    Kanadagans, Branta canadensis 25
Stockente, Anas platyrhynchos 8
Kanadareiher, Ardea herodias 1
Dunenspecht, Picoides pubescens 1
Sumpfschwalbe, Tachycineta bicolor 20+
Rotkardinal, Cardinalis cardinalis 2 (M&W)
Schwarzkopfmeise, Poecile atricapillus 1
Scharlachtangare, Piranga olivacea 1
Purpurgrackel, Quiscalus quiscula 4
Indianermeise, Parus bicolor 1
Rotaugenvireo, Vireo olivaceus 1
Katzendrossel, Dumetella carolinensis 4
Carolinataube, Zenaida macroura 7
    Anzahl der Spezies : 13; Anzahl der Individuen : 76; Zeit : 2 Std., 10 min.
    Anmerkungen : Zwei Studenten, darunter Karl, sind beneidenswert gut im Erkennen von Vogelstimmen; wenigstens kann ich jetzt allmählich seine Anziehungskraft auf Cora nachvollziehen! Keiner allerdings kann Prof. Kavanagh auch nur annähernd das Wasser reichen.
    6. Mai – Wo soll ich anfangen? Fragen Sie sich, aus welchem Grund irgendjemand Ihren Kurs wählt? Vielleicht ist Ihnen bewusst, was man sich so über Sie erzählt? »Er rezitiert Gedichte auf dem steilen Pfad von Sunday Woods hoch.« »Wenn man die zweite Woche übersteht, dann nimmt er eines Tages seine Fiddle mit in den Wald und spielt und singt, anstatt Unterricht zu halten!« »Außerdem ist er so süß !« (Sie wissen bestimmt, dass die weiblichen Studenten so über Sie sprechen, und auch, was für einen Ruf Ihr Kurs bei einigen neidischen männlichen Kommilitonen hat.)
    Aber so sehr ich mich auch auf Gedichte und
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