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Die Luft, die uns traegt

Die Luft, die uns traegt

Titel: Die Luft, die uns traegt
Autoren: Joyce Hinnefeld
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irische Folkmusik freue, habe ich doch andere Gründe, hier mitzumachen.
    Ich liebe Vögel und weiß nicht so recht, was ich damit anfangen soll.
    Ich habe Angst, dass diese Liebe zu spät entstanden ist. Nach den Geschichten, die Sie uns erzählt haben, entdeckten alle großen Vogelliebhaber – John James Audubon, Louis Agassiz Fuertes, Roger Tory Peterson und Sie selbst – ihre Leidenschaft schon in jungem Alter. Irgendein wichtiger Mensch schenkte ihnen einen Feldstecher oder ein Bestimmungsbuch oder einen ausgestopften Vogel, und das war’s. Sie waren den Tieren verfallen.
    Aber ich bin einundzwanzig.

    Und muss ich noch extra erwähnen, dass das außerdem alles Männer waren?
    Keine ihrer Erfahrungen trifft auf mich zu. Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich überhaupt noch nie einen Vogel gesehen, bevor ich letzten Herbst zum Studieren nach England ging. Was habe ich davor gemacht? Ich weiß auch nicht, Gedichte lesen, ausgehen, Musik hören, mich bis spät in die Nacht mit meinen Zimmergenossinnen unterhalten. Dann eines trostlosen Tages Anfang Oktober, als ich in meinem Tutorium eigentlich einen Text über Keats’ Ode an eine Nachtigall lesen sollte, brachte meine Tutorin Miss Smallwood ihre Privatsammlung von drei Audubon-Bildtafeln mit, einschließlich einer Nachtigall – nicht die englische natürlich, sondern die amerikanische Einsiedlerdrossel.
    »Sprechen wir doch heute lieber von diesen hier«, sagte sie. »Sind sie nicht wundervoll?«
    Und das waren sie. So etwas Schönes hatte ich vielleicht noch nie zuvor gesehen.
    Am darauffolgenden Samstag schloss ich mich Miss Smallwood und ihren vogelbegeisterten Freunden von den »Oxbridge Birders« auf einem Streifzug durch die Cotswolds an. Wir tranken Tee in einem Lokal in Stratford-upon-Avon, das mit Scherenschnitten von Shakespeare-Figuren dekoriert war. Ich war die Einzige unter fünfundsechzig dort. Den Rest des Trimesters lasen Miss Smallwood und ich Audubons Tagebücher statt Gedichte der Romantik. (Erzählen Sie das bloß niemandem vom Prüfungsamt oder vom anglistischen Institut – haha.)
    An den Wochenenden reiste ich mit dem Vogelklub durch ganz England. Ich zeichne schon seit meiner Kindheit – nichts Besonderes, meine Familie, die Tiere auf dem Bauernhof meines Vaters, einige Freunde von der Highschool und hier in Burnham.
Sonderlich ernst habe ich das nie genommen und auch bisher keinen Unterricht gehabt, abgesehen von den Kunststunden damals in der Schule und Zeichnen I in meinem ersten Jahr hier in Burnham. Mein Stundenplan ließ mir einfach keine Zeit für mehr Kunstunterricht (bis letztes Semester hatte ich vor, Englischlehrerin zu werden).
    Aber ich fing an, einen Skizzenblock mitzunehmen, wenn ich mit den Oxbridge Birders unterwegs war, und schließlich stellte Miss Smallwood mich Clive Behrend vor (sagt Ihnen der Name etwas? Seine Illustrationen sind in England ziemlich bekannt). Er nahm mich mit in seinen Ansitz im Wald außerhalb Oxfords, ließ mich neben sich sitzen und zeichnen und ermunterte mich, mit dem Malen anzufangen. Ohne jede Ausbildung! Er hat mich einfach eines Tages in seinem Atelier auf die Staffelei losgelassen.
    Ende November wusste ich bereits, dass ich so viele Kunstseminare wie nur möglich belegen musste, wenn ich zurück in Burnham war. Also habe ich das Schulpraktikum abgeblasen und mich für vier Kurse eingeschrieben.
    Meine Eltern wissen das noch gar nicht, jedenfalls nicht so genau. Ich habe ihnen erzählt, dass ich meinen Abschluss machen und stattdessen Kunstlehrerin werden will, und sie glauben mir das, die guten Seelen.
    Aber natürlich werde ich in Wirklichkeit nach meinem Abschluss nichts in der Hand haben, was mir in der »realen« Welt weiterhilft. Ich werde einfach nur eine Frau sein, nicht weniger. Eine Frau, die Vögel und Malerei viel zu spät entdeckt hat, wenn man all den Geschichten glauben möchte. Eine Frau, die in einem Monat das College beenden wird und sich wahrscheinlich eine Stelle als Sekretärin in Scranton suchen muss.
    Aber wissen Sie was? Das ist mir egal. Denn zum ersten Mal habe ich etwas gefunden, was mir etwas bedeutet . Und
ich werde so hart arbeiten wie nötig, um es hinzukriegen. Ich glaube, in mir lodert das Gleiche, was in Audubon loderte. Ich fühle mich ihm ähnlich, wie eine Art deplatzierte Promenadenmischung aus Pennsylvania, die beinahe ohnmächtig wird, wenn sie sich in der Nähe eines lebendigen Vogels befindet.
    Seinen ersten echten Erfolg erlebte er nach
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