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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung
Autoren: Oliver Pötzsch
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Nieselregen war mittlerweile in einen prasselnden Schauer übergegangen. Steven zog die Kapuze über und marschierte los. Leise verfluchte er sich dafür, dass er sein Rad wegen eines Plattens hatte zu Hause lassen müssen. Der Weg in seine Wohnung im Münchner Schlachthofviertel war nicht weit, aber bei diesem Regen wahrlich kein Vergnügen. Zahllose Angestellte mit Schirmen und Regenponchos eilten aus den auf dem alten Messegelände erst jüngst hochgezogenen Bürokomplexen an ihm vorüber, in den neuen Supermärkten wimmelte es von späten Kunden, die hastig ihre Abendeinkäufe erledigten und mit Tiefkühlpizzas und Sushiboxen in den Parkgaragen verschwanden.
    Schon wenige Straßen weiter wurde es merklich einsamer. Vor Steven lag in einer Talsenke die Münchner Theresienwiese, die sich jetzt, kurz nach dem Oktoberfest, leer und öde vor ihm ausbreitete. Das große Riesenrad und ein paar der Festzelte waren noch nicht ganz abgebaut, sie erhoben sich wie eiserne Gerippe auf dem flachen asphaltierten Feld; die stillstehenden Fahrgeschäfte und vernagelten Imbissbuden wirkten von hier oben wie verlassene Gebäude einer Geisterstadt.
    Steven beschloss, trotz der vielen Pfützen über die Theresienwiese nach Hause zu gehen. Das würde seinen Fußmarsch im Regen um bestimmt zehn Minuten verkürzen. Er wandte sich nach rechts, wo schon bald der weiße Tempel der Ruhmeshalle mit der Bavaria auftauchte. Die fast zwanzig Meter hohe Bronzestatue mit Löwe und Eichenkranz erinnerte Steven immer ein wenig an die amerikanische Freiheitsstatue. Ein Obdachloser hatte sich in einer Ecke des Tempels, direkt unter der Büste König Ludwig I., ein paar Lagen Zeitungen ausgebreitet und lallte vor sich hin. Ansonsten herrschte eine Stille, die Steven nach dem Lärm der Großstadt seltsam fremd vorkam.
    Vorsichtig stieg er die breite glitschige Treppe des Tempels nach unten. Ein schlaffer Luftballon, vom Wind in die Höhe gewirbelt, flog an ihm vorüber und verschwand schließlich in der Dunkelheit; es roch nach verschüttetem Bier und Müll. Wegen des schlechten Wetters schien sich kein anderer Fußgänger auf dem weiten, mit Pfützen übersäten Platz aufzuhalten.
    Als Steven etwa die Hälfte der Theresienwiese überquert hatte, hörte er hinter sich plötzlich ein Geräusch. Es klang wie ein leises, krächzendes Rufen.
    Erschrocken drehte er sich um und sah hinter sich, direkt unterhalb der Bavaria, drei Gestalten stehen. Sie trugen dunkle Umhänge und Kapuzen, die sie wie schwarzgewandete Ku-Klux-Klan-Mitglieder aussehen ließen. In den Händen hielt jeder der Kapuzenmänner eine brennende Fackel, die im Wind wild hin und her flackerte. Steven schloss die Augen und öffnete sie wieder, doch die Gestalten blieben.
    Merkwürdig. Es ist doch noch gar nicht Halloween.
    Für Kinder waren die Gestalten eindeutig zu groß und zu kräftig, sie ließen Steven eher an durchtrainierte Schläger in Mönchskostümen denken. Wieder überkam ihn die gleiche seltsame Angst wie vorher im Laden. Er wandte sich nach vorne und ging zögerlich weiter. Doch schon nach wenigen Metern wurde sein Schritt merklich schneller, schließlich rannte er. Hinter sich konnte er nun durch den strömenden Regen hindurch Fußgetrappel hören.
    Die Männer folgten ihm!
    Steven sah sich kurz um und bemerkte drei rote Punkte in der Finsternis, die auf und ab zu hüpfen schienen und langsam, aber unerbittlich näher kamen. Waren diese Männer wirklich hinter ihm her? Möglicherweise wegen dieses merkwürdigen Schatzkästchens? Mit klopfendem Herzen rannte Steven weiter, bis er den eisernen Geschmack von Blut im Mund spürte.
    Er hastete über die verlassene Theresienwiese, die in der Dunkelheit wie ein riesiger schwarzer See war, der ihn zu verschlingen drohte. Rechts und links öffneten sich Gassen, die zu gähnend leeren Bierzelten führten, davor türmten sich Achterbahnschienen wie die Knochen eines Dinosauriers. Die gegenüberliegende, von leuchtenden Straßenlaternen gesäumte Seite schien unendlich fern; hinter jeder der verlassenen Imbissbuden, in jeder Nische, hinter jedem Wohnwagen glaubte Steven, eine Gestalt mit Kapuze hervorhuschen zu sehen.
    Plötzlich tappte er in eine Pfütze, stürzte über einen schiefen Gullydeckel und schlug im kalten flachen Wasser auf. Die Tasche glitt ihm aus den Händen. Während Steven verzweifelt nach ihr tastete, konnte er hinter sich wieder die Schritte hören. Sie waren nun deutlich näher, er vernahm das Platschen von Schuhen
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