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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung
Autoren: Oliver Pötzsch
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auf dem nassen Asphalt. Wo war nur die verdammte Mappe? Ein Knirschen ganz in der Nähe ertönte, so als wäre jemand auf die Scherbe eines Maßkrugs getreten, dann ein Schnaufen und Husten. Etwas tief im Inneren sagte Steven: Er durfte die Mappe auf keinen Fall verlieren! Auch wenn er nicht wusste, warum.
    Endlich spürte er vertrautes Leder zwischen ein paar liegengebliebenen Mülltüten. Steven ergriff die Tasche, richtete sich keuchend auf und lief weiter, bis vor ihm endlich die rettenden Lichter der Straßenlaternen auftauchten. Atemlos stolperte der Antiquar zwischen einigen verkrüppelten Linden hindurch, dann hatte er endlich den Bavariaring auf der anderen Seite der Festwiese erreicht.
    Als er sich noch einmal umwandte, waren die Männer mit ihren Fackeln verschwunden. Autos hupten, eine Ampel schaltete auf Grün, Passanten drängten sich geschäftig an ihm vorbei.
    Er war zurück in der Großstadt.
    Wer oder was in aller Welt war das gewesen?
    Steven zitterte am ganzen Körper. Bis jetzt hatte er sich in Deutschlands teuerster und schönster Stadt immer sehr sicher gefühlt. Dass ihn jemand mitten im Zentrum ganz offensichtlich hatte ausrauben wollen, noch dazu seltsame Typen in Mönchskostümen, ließ ihn München plötzlich mit anderen Augen sehen. Plötzlich kamen ihm die schmalen Straßen seines Wohnviertels, die flackernden Straßenlaternen und die hohen alten Häuser, die der Krieg verschont hatte, unheimlich und fremdartig vor.
    Nach einer weiteren Viertelstunde war Steven endlich an seiner Wohnung angekommen, die in der Ehrengutstraße nur unweit des Münchner Schlachthofs lag.
    Er lehnte sich an die Haustür, schloss kurz die Augen und lauschte den vertrauten Geräuschen seiner Wohngegend – dem fernen Klingeln der Trambahn, den Autohupen und dem Gelächter der zahlreichen Kneipenbesucher. Mitten in der Nacht oder sehr früh, noch vor der Morgendämmerung, hörte Steven manchmal das Muhen der Kälber und Kühe und das Kreischen der Schweine, die im Schlachthof ihren letzten Gang antraten; gelegentlich lag sogar ein Geruch von Blut in der Luft. Trotzdem konnte er sich kein anderes Viertel vorstellen, in dem er leben wollte. Hier in der Isarvorstadt mit dem alten Südfriedhof, den verwinkelten Gassen und prächtigen Brücken, die über den nahen Fluss führten, glaubte Steven noch den Geist der vergangenen Jahrhunderte zu spüren. Ein München, das es nur noch in wenigen Ecken der Stadt gab.
    Ein München, wie es auch dieser Theodor Marot kannte, fuhr es ihm plötzlich durch den Kopf. Sind seine Aufzeichnungen so wertvoll, dass ich deshalb bereits verfolgt werde?
    Müde und noch immer fröstelnd stieg Steven die zahlreichen ausgetretenen Stufen hinauf ins oberste Stockwerk. Erst als er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, merkte er, dass seine Hose zerrissen war und er an mehreren Stellen blutete. Seine Hände waren dreckig, der Dufflecoat nass wie ein Putzlappen und die Aktentasche feucht und mit Schlamm bespritzt.
    Er beschloss, das erste Glas Wein noch vor den Pasta Primavera zu trinken.

2
    E ine gute Stunde und eine dreiviertel Flasche später saß Steven Lukas geduscht und mit frischen Kleidern auf dem geliebten abgenutzten Ledersofa seiner Dachgeschosswohnung. Draußen prasselte der Regen gegen das Fenster, der Wind war stärker geworden. Steven konnte durch die Tropfen an der Scheibe das Leuchten des Münchner Olympiaturms sehen, die ziegelroten Gebäude des Münchner Schlachthofs waren nur noch als Schemen zu erkennen.
    Wie so oft hatte er zunächst ein gutes Dutzend Bücher von den Polstern räumen müssen, der Beistelltisch quoll über vor leeren Teetassen, Sandwichresten und zerfledderten Zeitungen der letzten Tage. Im Gegensatz zu seinem Antiquariat fehlte Steven hier in der Wohnung jeglicher Ordnungssinn. Nächsten Sonntag würde die Putzfrau kommen und ihn einmal mehr für seinen Lebenswandel schimpfen. In einem stetig wiederkehrenden Ritual predigte ihm die dicke Joanna in polnischem Akzent über die gefährlichen Abgründe des Junggesellendaseins.
    Stevens letzte feste Beziehung war bereits vier Jahre her, er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Bücher die besseren Partnerinnen waren. Sie hatten ungleich spannendere Geschichten zu erzählen, und wenn man müde war, klappte man sie einfach zu.
    Steven schloss die Augen und genoss das B-Dur-Klavierkonzert von Brahms, das leise von seinem alten Philips-Plattenspieler herüberwehte. Vor ihm stand die fast leere Flasche
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