Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
selbsternannte ›Weiße Hexen‹ und andere Esoterikspinner rissen sich förmlich darum. Der Titel allerdings schien lesbar zu sein. Stirnrunzelnd zog der Antiquar seine Lesebrille hervor und entzifferte die verblichene Schrift.
    Memorabilien des Theodor Marot, Assistent von Dr.   Max Schleiß von Loewenfeld
    Steven wischte sich über die Augen. Weder Buch noch Behälter hatte er jemals zuvor gesehen. Oder doch? Ein merkwürdiges Gefühl der Vertrautheit durchfuhr ihn. Trotzdem konnte er sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wie das Kästchen in seinen Besitz gekommen war. Beim Nachlass der alten Dame aus Bogenhausen war es jedenfalls nicht dabei gewesen, einen so ausgefallenen Gegenstand hätte er sicherlich bemerkt. Und auch die Flohmarktbestände der vergangenen Wochen hatte er bereits Stück für Stück archiviert und schriftlich festgehalten. Wie also war dieses Schatzkästchen in seinen Laden gelangt?
    Noch einmal griff er zu den Fotografien. Er war sich plötzlich sicher, den riesenhaften älteren Mann darauf von irgendwoher zu kennen. Nicht so aufgedunsen zwar, doch die sanften Augen, der Bart und die vollen schwarzen Haare waren die gleichen. Eine wahrhaft imposante, fast majestätische Erscheinung.
    Mit einem Mal hielt er inne.
    War das möglich?
    Nachdenklich tippte Steven auf eines der Bilder. Mit dem Kästchen in der Hand eilte er nach hinten ins Lager, wo sich die bereits registrierten Bücher von Trödelmärkten und Wohnungsauflösungen stapelten und darauf warteten, in die überquellenden Regale einsortiert zu werden. Hektisch stöberte er in den Kartons auf der Suche nach einem eher billigen Exemplar, das er erst vor ein paar Tagen auf einem Flohmarkt am Münchner Olympiapark zwischen Schundromanen und Landserheftchen entdeckt hatte. Endlich, am Boden der dritten Kiste, wurde er fündig.
    Das Werk war eine zerfledderte Abhandlung über das bayerische Königshaus, verfasst Anfang des 20. Jahrhunderts. Auf den darin abgebildeten heroischen Gemälden posierten eine ganze Reihe Wittelsbacher, angefangen mit Maximilian I. Joseph bis hin zu Ludwig III., dem letzten bayerischen König, der Ende des Ersten Weltkriegs als täppischer alter Narr abdanken musste. Steven blätterte wie wild, bis er schließlich das richtige Bild fand. Da war es! Ein schöner junger Mann mit schwarzem Haar blickte ihm entgegen, noch ohne Bart zwar, aber mit der gleichen Frisur und dem entrückten Blick, den er bis zu seinem mysteriösen Tode beibehalten sollte. Er trug einen blauen Rock und darüber einen weißen Hermelinmantel.
    Steven lächelte. Kein Zweifel, der aufgedunsene riesige Fremde auf dem Foto war kein anderer als König Ludwig II., auch genannt der ›Märchenkönig‹. Vermutlich war er einer der bekanntesten Deutschen, sein jugendliches Konterfei zierte wohl auch in China und der Serengeti Bierkrüge, T-Shirts und Postkarten.
    Noch einmal verglich Steven das Gemälde im Buch mit der Fotografie in seiner Hand. Der äußeren Erscheinung des Herrschers nach musste das Bild in späteren Jahren entstanden sein. Aber ein Irrtum schien ausgeschlossen – in dem Kästchen befanden sich tatsächlich Aufnahmen des weltberühmten bayerischen Monarchen, vermutlich kurz vor seinem Tod! Vielleicht sogar unveröffentlichte? Steven wusste, dass man in bestimmten Kreisen damit einen hohen Preis erzielen konnte. Das Mietproblem schien plötzlich in weite Ferne gerückt.
    In diesem Augenblick meldete vorne die Türglocke erneut einen Besucher.
    Genervt legte Steven Buch und Fotos wieder in das Kästchen und schob es in ein Regal. Dann ging er vom Lager zurück in den Laden. Konnte man denn nie seine Ruhe haben! Es war bereits sieben Uhr abends. Wer um alles in der Welt konnte so kurz vor Ladenschluss noch etwas von ihm wollen? Oder war es schon wieder Frau Schultheiß mit einem neuen Angebot?
    »Wir haben eigentlich schon geschlossen«, begann er kurzangebunden, während er hinter die Ladentheke trat. »Wenn Sie bitte morgen …«
    Als er den Mann vor sich genauer ansah, wusste er sofort, dass es sich bei ihm nicht um einen der üblichen Perry-Rhodan-Interessenten handelte. Der Fremde war an die sechzig, hatte schütteres graues Haar, einen altmodischen Kneifer auf der Nase und trug einen bayerischen Trachtenanzug, wie ihn wohlhabende ältere Herrschaften vom Tegernsee bevorzugten. Er war groß und hager, mit hoher Stirn; seine ganze Haltung strahlte eine Autorität aus, die es nicht gewohnt war, in Frage gestellt zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher