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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung
Autoren: Oliver Pötzsch
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meinte doch nur …«
    »Wenn Sie an Stichen aus dem 18. Jahrhundert oder an Literatur der Aufklärung interessiert sind, dürfen Sie sich gern umschauen«, sagte Steven schroff. »Ansonsten möchte ich Sie bitten zu gehen.«
    Frau Schultheiß biss ihre ohnehin schmalen Lippen zusammen, dann drehte sie sich grußlos um und ging hinaus. Ein letztes Bimmeln ertönte, dann war Steven wieder allein.
    Der Antiquar nahm einen weiteren Schluck Tee, der mittlerweile unangenehm lauwarm geworden war. Diese Schultheiß von gegenüber ließ einfach nicht locker! Achttausend Euro Ablöse hatte sie ihm schon versprochen, wenn er seinen Mietvertrag beim alten Seitzinger aufkündigte und ihr den Laden für eine Boutique überließ. Kurt Seitzinger hatte in diesen Räumen in der Münchner Gollierstraße seine Schreinerei gehabt, sich aber schon vor fast zwanzig Jahren in den Ruhestand zurückgezogen. Steven war damals, nach seinem Studium der Literaturwissenschaften an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, sofort von dem Laden begeistert gewesen; noch immer glaubte er das Holz, die Sägespäne und den Leim riechen zu können. Seinen Entschluss, sein Antiquariat im Münchner Westend zu gründen, hatte er nie bereut. Das war allerdings zu einer Zeit gewesen, als das Westend noch ein echtes Arbeiterviertel mit hohem Ausländeranteil und ebenso vielen Studenten gewesen war; mittlerweile schossen Boutiquen, schicke Bars, Sushi-Takeaways und Friseurläden wie bunte Pilze aus dem Boden. Das Westend wurde hip, und das ›Antiquariat Lukas‹ schien einer vergangenen Epoche anzugehören. Selbst Stevens Kleidung wirkte auf viele Bewohner des Stadtviertels nicht mehr zeitgemäß. Andere Männer im Westend trugen in seinem Alter lustig bedruckte hautenge Sweatshirts, Sneakers und Baseballmützen. Stevens Leidenschaft galt Tweed und Cord. Beides kombinierte er zu Anzügen, die ihm, zusammen mit seinen grauen, nach hinten gekämmten Haaren und der Lesebrille, das Aussehen eines verarmten englischen Landadligen gaben. Auf einer Burg in Schottland hätte man ihn für den rechtmäßigen Erben gehalten, hier im Westend fühlte er sich manchmal zwanzig Jahre älter, als er wirklich war. Dabei hatte er erst vor einigen Monaten ganz im Stillen seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert.
    Seufzend stand Steven vom Mahagonischreibtisch auf und durchwanderte seinen kleinen Laden, in den er beinahe zwanzig Jahre lang so viel Geld und Herzblut gesteckt hatte. Er strich liebevoll über die einzelnen Buchrücken, rückte hier und dort etwas gerade und stellte einzelne verirrte Exemplare wieder an ihre richtige Stelle. Schließlich begann er, eine der Kisten vom Nachlass der alten Dame aus Bogenhausen auszuräumen und die Bücher in die wenigen freien Plätze in den Regalen zu stellen. Unter den erworbenen Werken waren ein Baedeker-Reiseführer für Belgien aus dem Jahre 1888, ein Schachbuch aus dem 18. Jahrhundert und Sheltons Stenographie-Standardwerk ›Tachygraphy‹ in einer der späteren Ausgaben – alles wahre Schätze. Ob er sie jemals verkaufen würde, war allerdings fraglich.
    Wenigstens in einem Punkt hatte Frau Schultheiß recht: Sein Geschäft lief mies, sogar ziemlich mies. Eigentlich war es noch nie gut gelaufen, aber das war Steven bislang egal gewesen, solange er nur auf Flohmärkten, in Bibliotheken und anderen Antiquariaten nach Herzenslust stöbern konnte. Doch nun war das einst stattliche Erbe seiner Eltern aufgebraucht, und er musste sich mit einem der niedersten Aspekte des menschlichen Daseins beschäftigen: dem Geldverdienen.
    Wenn jemand den Laden betrat, waren es meist nur Passanten, die nicht im Regen auf den nächsten Bus warten wollten oder hofften, bei Steven einen billigen Perry Rhodan oder den neuesten Dan Brown kaufen zu können. Ganz zu schweigen von den betrunkenen Oktoberfestbesuchern, die auf der Suche nach einer öffentlichen Toilette waren.
    Der vornehme alte Herr mit Brille und elfenbeinernem Gehstock heute Vormittag jedoch war anders gewesen. Er hatte sich sehr an Stevens bisherigem Leben als Antiquar interessiert gezeigt und ihn ausführlich über eine frühe Abschrift der Tagebücher von Samuel Pepys ausgefragt. Ein seltenes Werk, das Steven erst kürzlich erworben hatte und das unter Kennern als besonders wertvoll galt.
    Doch trotz seiner Sachkenntnis hatte der Mann auf Steven einen leicht verwirrten, ja fast gehetzten Eindruck gemacht. Seine Hände hatten krampfhaft ein mit grauem Packpapier verschnürtes
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