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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung
Autoren: Oliver Pötzsch
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waren Dinge passiert, die ihn bis heute im Schlaf laut aufschreien ließen. Er hatte gelernt, Schläge einzustecken. Und er würde sich eher die Zunge abbeißen, als das Versteck preiszugeben.
    Das Geheimnis des Buches war über hundert Jahre gewahrt geblieben, er durfte es nicht preisgeben. Nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel!
    Wie ein Hammer war die Wirkung der Spritze über ihn gekommen. Er konnte sich noch an die verlassene Straße im Westendviertel erinnern und an das Auto, das so ähnlich ausgesehen hatte wie ein alter Wartburg. Aber die Stunden danach waren ein einziger schemenhafter Alptraum. Auch die Ereignisse vor der Spritze schienen merkwürdig vage. Liebermanns letzte konkrete Erinnerung war die an sein Frühstücksmüsli, dessen Reste er schon vor einiger Zeit auf den Waldboden erbrochen hatte.
    »Sollen wir ihn noch mal in die Mangel nehmen?«, fragte nun einer der beiden Schläger, die Liebermann ebenso wie den König nur durch einen Schleier hindurch sah. »Ich habe noch einige Tricks auf Lager, die ihn sicher zum Sprechen bringen.«
    »Ich glaube, es ist zwecklos.« Achselzuckend ließ der König das Handy zwischen den Falten seines Pelzmantels verschwinden und starrte Liebermann an. »Dieser Mann ist störrisch wie ein alter Esel. Außerdem verabscheue ich Gewalt.« Er seufzte. »Wie ich gerade erfahren musste, hat auch die Durchsuchung seines Hotelzimmers nichts ergeben. Gawain und Tristan haben alles auf den Kopf gestellt. Wenn ich nur wüsste …«
    Er verstummte und ließ seinen Blick über den Waldboden schweifen, der mit Laub und unzähligen Papierfetzen bedeckt war. Dazwischen lag wie eine zerbrochene Puppe Paul Liebermann, verkrümmt und gefesselt; ein mit Erde verschmiertes Stück Papier kitzelte seine Nase. Die Buchstaben darauf verschwammen ihm immer wieder vor den Augen. Erst nach einiger Zeit bekamen manche von ihnen einen Sinn. Es schien sich um eine Gedichtzeile zu handeln.
    Siehst Vater, du, den Erlkönig nicht?
    Trotz seines Zustands musste der ehemalige Professor für Neuere Geschichte lächeln. Die Romantik war immer sein Steckenpferd gewesen und der ›Erlkönig‹ sein liebstes Gedicht. Keine Ballade verkörperte für ihn so gut die Sehnsucht nach dem Tod, das Aufgehen in der Natur wie diese Zeilen. Jetzt stand Paul Liebermann selbst vor dem Erlkönig.
    Du schönes Kind, komm spiel mit mir …
    »Mon Dieu!«
    Der König trat mit der Stiefelspitze gegen den feuchten Waldboden, so dass Laub und Papierfetzen aufflogen. Sein weißer Pelzmantel flatterte im kalten Oktoberwind und gab ihm das Aussehen eines fetten, monströsen Schwans.
    »Wo ist nur dieses verdammte Buch?«, zischte er. »Wir waren so nah dran, und jetzt das! Nur verfluchte Gedichte!« Er biss sich in die Faust und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. »Aber ich hätte den Band nicht zerreißen dürfen. Wenn etwas in dieser Welt Bestand hat, dann die Kunst. Nur sie ist zeitlos! Warum habt ihr mich nicht daran gehindert, hä?«
    Die letzten Worte waren an die beiden Schläger gerichtet, die verlegen ihre blutverkrusteten Finger kneteten.
    »Es … es ging alles so schnell, Euer Exzellenz«, murmelte einer. »Ihr hattet den Gedichtband in der Hand und …«
    »Ah, arretez!«
    Der König machte eine wegwerfende Bewegung, dann begann er seine Stirn zu massieren. Er schien Kopfschmerzen zu haben, nervös leckte er sich die Lippen. Nach einer Weile trat er dem Professor ohne Vorankündigung in den Bauch.
    »Was hat Er mit dem Buch gemacht?«, schrie er. »Was hat Er gemacht? Es ist meins! Meins allein!«
    Paul Liebermann spuckte Blut und Laub, auch ein paar der Papierfetzen waren darunter. Stöhnend krümmte er sich wie ein Embryo, um sich vor weiteren Tritten zu schützen. Doch glücklicherweise kamen keine mehr.
    Liebermann war sich nicht sicher, ob er noch weitere Schmerzen überstanden hätte. Vielleicht hätte er am Ende das Geheimnis doch verraten?
    Bleib standhaft! Die Linie des Königs steht auf dem Spiel.
    Leise summend kniete Seine Majestät sich vor Liebermann hin und ließ Erde und Papierfetzen durch seine Finger gleiten.
    »Natur und Kunst«, murmelte er. »Gibt es etwas Schöneres? Wir müssen uns auf die alten Mythen besinnen, wo diese beiden Dinge noch eins waren. Eine Götterdämmerung bricht an, fort mit den falschen Götzen …«
    Plötzlich hielt er inne und starrte auf einen Papierfetzen in seiner Hand. Dann fing er an zu kichern.
    »Natürlich!«, prustete er und hielt sich wie ein
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