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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins
Autoren: Markus Preiter
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draußen. Die Bühnenstaffelung gewährt Halt, wo eigentlich gar kein Halt ist. Seelische Stabilität bedeutet in hohem Maße, sich etwas erfolgreich vormachen zu können und dem eigentlichen Nichts eine Illusionsrealität entgegenzusetzen, die nicht ganz falsch ist, aber auch nicht ganz richtig.
    Eindeutigkeiten von der Welt und sich selbst erfinden, die das Leben erleichtern und ihm den nötigen Auftrieb geben, in diese Fähigkeit hat die Evolution viele Millionen von Jahren investiert,
und viele Jahre des Heranwachsens brauchen wir, um diese evolutionäre Vorgabe mit individueller Erfahrung auszufüllen und zu realisieren. Wir teilen dazu die Welt in Räume ein, die wir als Raumbühnen bezeichnen, die bestimmte Inhalte aufweisen, eine bestimmte Distanz zu uns besitzen und bestimmte Gefahren- und Erlösungsmomente bergen. Das »schizophrene« Gehirn tut nichts anderes als das, wofür es evolutionär gebaut ist. Es tut es nur ungeschminkt. Die Puzzleteile der Weltinterpretation sind beim Gesunden so passgenau, dass eine vermeintliche Ganzheit entsteht und eine Trennung von mir und dem Rest. Kommt es zu Fugentrennungen des Puzzles, drehen sich die meisten Puzzleteile um und eins oder mehrere der Puzzleteile liegen alleine da und die Weltinterpretation reduziert sich einengend und mit übermächtiger Dringlichkeit auf sie. Krankhaft ist nicht das jetzt oben liegende Puzzleteil, sondern die Unfähigkeit, die anderen Puzzleteile wieder auf die Vorderseite zu drehen und alles miteinander zu einem Bild zusammenzufügen. Das Gehirn ist nur noch in einem »abgesicherten Modus« 88 unterwegs mit eingeschränkter Funktionalität, die pseudogefahrenreaktiv ist und angstgetriggert Sinn machen würde, wäre die Gefahr tatsächlich im vermuteten Ausmaß da .
    Der Hauptdenkfehler der Psychiatrie besteht bis heute darin, den abgesicherten Modus und seine Funktionskapazität für eine Krankheit im engeren Sinne, vergleichbar mit den somatischen Erkrankungen, zu halten. Die Brille des medizinisch-psychiatrischen, pathologieorientierten Einteilungseifers verdunkelt den Durchblick auf das Wesentliche: nämlich auf die eigentlich naheliegende Erkenntnis, dass das, was mit der Schizophrenie als Symptomkomplex beschrieben wird, einem speziellen abgesicherten Gehirnmodus gleicht, der ebenso nützlich ist wie der abgesicherte Modus Ihres Computers. Hier wie dort ermöglicht die Konzentration des »Betriebssystems« auf das Wesentliche, nämlich die vermutete Gefahr, die Erhaltung der Lauffähigkeit. Erst wenn die Gefahr verstanden und in aller Deutlichkeit aus dem Schutz des abgesicherten Modus heraus in Augenschein genommen wird, kann sie auch angegangen und unter Umständen bewältigt werden. Für den schizophren Menschen heißt
das: Erst wenn alles Bedrängende, Eindringende, mit mir Fusionierende an mir vorbeigezogen ist, kann ich es wieder wagen, den abgesicherten Modus zu verlassen und mich der Welt zuzuwenden.
    Die Grundstabilität des menschlichen Betriebssystems, welches wir auch unter dem Begriff der anthropologischen Matrix kennengelernt haben, variiert von Mensch zu Mensch und hängt eng zusammen mit den individuellen Erfahrungen, die wir auf unserem Lebensweg machen. Sehr früh erlittene mangelhafte Ergänzerfunktion und frühe Schwersttraumatisierungen erhöhen die Verletzlichkeit, die Vulnerabilität des Betriebssystems und die Gefahr, unter sozialem Gefahrenstress in den abgesicherten Psychosemodus herunterschalten zu müssen. Neben diesen psychologisch bedingten Stabilisierungsschwächungen spielen nicht selten auch substanzielle Störungen der Gehirnfunktion eine Rolle. Cannabis beispielsweise vulnerabilisiert das Gehirn eines jungen Menschen teilweise extrem und kann psychotische Symptome, psychotische Betriebsstörungen provozieren. Darüber hinaus sind unser Gehirn und seine Leistungen so komplex, dass es auch aus Gründen der individuellen Wahrscheinlichkeitsrechnung bezogen auf möglicherweise lauernde Gefahren zu einer psychotischen Krise kommen kann. Die den Psychiatern bekannte Tatsache, dass kulturübergreifend von hundert Menschen statistisch gesehen einer einmal in seinem Leben eine Psychose erleidet, ist unter Umständen auch darin begründet, dass eine so komplizierte Struktur wie das menschliche Gehirn bei hundert Aufbauversuchen einmal an der Komplexitätsausbildung »scheitert« und nicht ausreichend stabil gestaltet werden kann, um eine stimmige Gefahrenberechnungsfähigkeit zu erlangen. Psychotische
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