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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins
Autoren: Markus Preiter
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favorisieren? Jede Erklärung wird doch in ihrer Bedeutung anscheinend durch eine andere entkräftet.
    Diese auch für Fachleute verwirrende Erklärungsfülle hängt mit der hohen Komplexität des Themas zusammen. Derzeitig werden zum Verständnis des Auftretens psychopathologischer Auffälligkeiten die Bedingungen herangezogen, welche gegenwärtig auf den einzelnen Patienten Einfluss nehmen. Dies sind nun einmal unsere Lebenserfahrungen, unsere aktuelle Lebenssituation, der gesellschaftliche Kontext, in dem wir uns bewegen, und nicht zuletzt auch der Einfluss unseres Erbgutes. Diesen unterschiedlichen Einflussfaktoren jeweilig folgend, haben sich unterschiedliche psychiatrische Schulen mit unterschiedlichen Sichtweisen auf die menschliche Psychopathologie entwickelt. Jede Schule verfolgt für sich ein eigenes Erklärungsmodell und favorisiert ihr Modell unter Diskriminierung anderer Modelle als Hauptentstehungsursache psychopathologischer Phänomene. Welches Modell man als Behandler bevorzugt, ist eher »Geschmackssache« als wissenschaftlich fundiertes Urteil. Eines dieser Erklärungsmodelle zu verstehen und zu durchdringen, ist bereits so komplex, dass es für sich schon die ganze Aufmerksamkeit eines Professionellen beansprucht. Diese Spezialisierung führt zu fruchtbaren Erkenntnisgewinnen innerhalb der verschiedenen Theoriemodelle, hat aber, wie ich in meiner vieljährigen Arbeit als klinisch tätiger Psychiater zu beobachten meine, für das Fachgebiet Psychiatrie einen entscheidenden Preis: Über weite Strecken der psychiatrischen
Ausbildung und Tätigkeit gelingt es den Behandlern im klinischen Alltag nicht, in einem praktisch umsetzbaren Maße die verschiedenen Erklärungsmodelle für die Patienten und Angehörigen verständlich miteinander zu verbinden. So wird sicherlich gut »technisch« behandelt, oft gelingt es jedoch nicht, das Phänomen Psychopathologie den Patienten und ihren Angehörigen oder Freunden »begreifbar« zu machen. Begreifbar im Sinne von berühren und umgreifen des entscheidenden Sachverhaltes: »Psychische Krankheit und ihr Verhältnis zur psychischen Gesundheit des Menschen«. Dadurch bleiben die psychopathologischen Symptome für die Patienten, ihre Angehörigen und selbst für viele Behandler in einer finsteren Aura des Unheimlichen und Bedrohlichen stecken. Symptome werden dann nicht verstanden , sondern werden, von ihnen Abstand nehmend, technisch durch die Behandler gesammelt, kategorisiert, katalogisiert und schließlich diagnostiziert.
    So bleibt die Psychiatrie, trotz aller außerordentlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse und Neuerungen in interessanten Einzelfragen, in der Gesamtschau des Menschen für viele Außen- und leider auch Innenstehende dunkel und vage.

Aus »seelischer Krankheit« Rückschlüsse auf seelische Gesundheit ziehen
    Aus dieser Erklärungs- und Verständnislücke ergab sich für mich der Ausgangspunkt für dieses Buch. Viele Psychiater und andere Berufsgruppen innerhalb der Psychiatrie haben aufgrund des verzweigten Zuganges zum Krankheitsverständnis, wie ich behaupte, keine Vorstellung über ein in meinen Augen wichtiges und für die Arbeit mit Patienten eigentlich unerlässliches Gebiet: nämlich über die allgemein gültige seelische Funktionsweise des Menschen. Der Begriff des »Seelischen« ist mit Bedacht gewählt. Ich benutze ihn hier und in der Folge nicht in seiner transzendenten Bedeutung, sondern in seiner Abgrenzung zum Begriff des »Psychischen«. Mit dem Begriff »Psyche« wird schnell das »Psycho-pathologische« assoziiert, das
psychisch Kranke. Dagegen verstehe ich den Begriff des »Seelischen« losgelöst von einer Pathologie. Es gibt Psychopathologie, aber keine Seelenpathologie.
    Dieses von mir unterstellte, unvollständige Verständnis des Kerninteresses im eigenen Fachgebiet, nämlich die jeweilige Funktionsweise des Gesunden, ist innerhalb der medizinischen Fachrichtungen, zu denen die Psychiatrie ja gehört, ausschließlich ein Phänomen der Psychiatrie. Sie steht deshalb, verglichen mit den anderen medizinischen Disziplinen, merkwürdig isoliert da. Überall in der Medizin lernen Ärzte aus den Krankheitsprozessen Neues über die Funktionsweise des Gesunden. So verstehen Kardiologen z.B., wie die für eine harmonische Arbeitsweise des Herzens notwendige Reizleitung im Herzen funktioniert, aus dem klinischen Phänomen der Reizleitungsstörungen heraus. Die Entwicklung einer Behandlungsmöglichkeit von Herzrhythmusstörungen
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