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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins
Autoren: Markus Preiter
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in den Vordergrund und verdeckte jahrzehntelang das gemeinsam geteilte evolutionäre Erbe und dessen Beteiligung bei der Entstehung der menschlichen Psychopathologie. Erst in den letzten Jahren verringert sich in der Medizin generell diese Distanz auf die Reichweite eines Diskretionsabstandes, und zumindest in der somatischen Medizin darf mittlerweile Erkenntnis bringend evolutionär gedacht werden. 2
    Die aus den erwähnten Gründen entstandene Blindheit, bezogen auf unsere evolutionäre Realität als Menschen, ist nur zu verständlich, kann und darf aber nicht mehr aufrechterhalten werden, da wir uns ansonsten selbst fortgesetzt nur rudimentär verstehen können und fehlinterpretieren. Dies gilt für unseren somatischen Aufbau und uneingeschränkt genauso für die Funktion unseres Gehirns.
    Hier soll der Versuch gewagt werden, genau jenen bisher vernachlässigten Aspekt menschlichen Seins, seine evolutionäre Geschichte, in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und mit der schon immer sichtbaren
Individualgeschichte zu vereinen . Erst dann kann das Phänomen Psychopathologie auch mit dem Phänomen psychischer »Normalität« im doppelten Sinne des Wortes »natürlich« zusammengedacht werden. Dieses »Zusammendenken« kann allerdings im Verlauf des Buches nicht nur rein logisch erfolgen. Wir werden es mit Sachverhalten zu tun bekommen, die so tief in das Menschsein hineinreichen, dass klare Logik kaum ausreicht, um diese ausreichend zu beleuchten. Bei aller Klarheit in der Darstellung der Zusammenhänge, um die sich die folgende Darstellung bemüht, wird es deshalb immer wieder auch um ein atmosphärisches Verstehen der menschlichen Problemlagen gehen, um ein intuitives Herantasten an spezifische Brisanzfelder, die uns alle durchziehen.
     
    Der erste Schritt einer Reise soll oftmals der schwerste sein. Dies gilt auch für unser Unternehmen. Der erste Schritt hin auf das dunkle Seelenlabyrinth ist nicht in Form eines Lernprozesses zu tun, sondern in Form eines Verlernungsprozesses. Ein Verlernungsprozess, bei dem wir unser Reisegepäck erleichtern müssen von starken kulturellen und fachmedizinischen Prägungen, die außerhalb des Labyrinthes ein guter Reiseproviant sein mögen, uns als Höhlenforscher aber unnötig belasten und unsere Beweglichkeit empfindlich einschränken würden. Lassen wir die Vorstellung, dass der Mensch prinzipiell etwas anderes sei als seine evolutionären Vorfahren oder seine lebenden Primatenvettern, am Höhleneingang zurück.
    Das vergessene Hilfsmittel der Psychiatrie, der Orientierungskompass »Evolutionstheorie«, ist außerhalb der Interpretation des menschlichen Seins, bezogen auf alle anderen Lebewesen, eine wissenschaftliche Erfolgsgeschichte. Dieser Kompass wird auch uns bei der folgenden Labyrinthuntersuchung gute Dienste leisten.

Teil I
    Der Schlüssel zum Seelenlabyrinth
    Die menschliche Kindheit und die Kindheit der Menschheit

1. Wege der Evolution
    Wozu brauchen wir Gefühle?
    Wir Menschen stehen am vielleicht endgültigen Ende einer evolutionären Entwicklung, die uns mit verschiedenen Fähigkeiten ausgestattet hat. Eine, die augenfälligste, weil sie das Antlitz unseres Planeten verändert hat und permanent weiter verändert, ist unsere kognitive Intelligenz. Wir sind in der Lage, die Welt um uns herum zu verändern und sie unseren Bedürfnissen nach zu manipulieren. Wir sind klug. Aber dies ist nur eine der zentralen Fähigkeiten, welche die Evolution in uns aufgehäuft hat. Die andere zentrale Fähigkeit ist unsere ausgeprägte Emotionalität. Wir sind z.B. in der Lage zu lachen, zu weinen oder traurig zu sein. Daneben gibt es viele weitere Emotionen in allen möglichen Schattierungen und Mischzuständen. Wir sind auf der emotionalen Ebene permanent unruhebereit. Jeder spürt sofort eine innere Stellungnahme zu der Frage: »Wie geht es dir?«, auch wenn diese Stellungnahme manchmal schwer in Worte zu fassen ist.
    Manche Emotionen fühlen sich gut an, manche sind schrecklich, andere sogar unerträglich. Oft bremsen uns die Emotionen im Alltag aus. Wir sind in tiefer Trauer nach dem Verlust eines Menschen, und das Leben scheint für immer stillzustehen. Ängste lähmen uns manchmal und lassen uns vor Herausforderungen zurückschrecken, von denen wir wissen, dass wir sie eigentlich bewältigen könnten. Wir sind emotional angreifbar und sehr verletzlich für das, was andere uns sagen. Ein rügendes Wort des Vorgesetzten kann schlaflose Nächte der Verärgerung nach
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