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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins
Autoren: Markus Preiter
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unnötige Theorielast empfinden. Ich bin überzeugt, dass z.B. der fatale Ausschluss von Angehörigen aus dem therapeutischen Prozess, wie er im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts über weite Strecken stattgefunden hat, ebenso wie die unfruchtbare, teilweise verbissen ideologisch geführte Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen psychiatrischen und psychotherapeutischen Schulen im gleichen Zeitraum, letztlich auch mit dieser Sprachlosigkeit in strukturellen Fragen in Zusammenhang stand und bis heute in abgeschwächter Form steht.
    Damit bleibt die Psychiatrie als naturwissenschaftlich anthropologische Disziplin weit hinter ihren Möglichkeiten zurück und findet sich abgesondert hinter den Türen der Krankenhausabteilungen und Arztpraxen wieder, in denen sie arbeitet. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit Kranken und hat doch eigentlich auch den bisher gesund Gebliebenen vieles zu sagen.

Der fehlende Grundriss der menschlichen Seele
    Dieses Buch versucht als Gegenentwurf und Ergänzung behilflich zu sein, um das unstrukturierte »Zettelkastendenken« der Psychiatrie und ihrer Schulen, in dem die einzelnen Krankheitsbilder bezugslos
nebeneinander aufbewahrt sind, in ein systematisiertes »periodisches System« der Seele zu überführen und zeitraubende Umwege zum Strukturverständnis zu vermeiden. Ähnlich wie das Periodensystem der Chemie die stoffliche Welt in einen Bezug zueinander setzt und Reaktionsmuster und Wechselwirkungen erklärt bzw. vorhersagt, möchte ich mit meinem übergreifenden Erklärungsmodell die verschiedenen Interpretationshorizonte, derer sich die Psychiatrie bedient, auf ein gemeinsames Verständnisfundament stellen und sie damit in Bezug zueinander setzen. Ich bin mir bewusst, dass auch die in der Folge beschriebene Sichtweise eine Verkürzung darstellt und Wichtiges unter den Tisch fallen lässt. Auch hier besteht eine Parallele zum Periodensystem der Chemie. Es beschreibt zwar eine höhere Ordnung der stofflichen Welt, anderes Wissen geht aber in diesem System verloren oder wird nicht präsent. Die Farbe von Gold etwa ist dem Periodensystem nicht zu entnehmen, auch nicht die ästhetische Präsenz, die dieses Metall ausübt, und schon gar nicht die unter Umständen ambivalenten Gefühle, die ein verschenkter goldener Ring auslösen kann.
    Das im Verlauf des Buches entwickelte Basismodell verzichtet ebenfalls auf Teilwissen zugunsten des Überblicks. Dabei soll und kann es kein Lehrbuch sein. Es möchte nicht katalogisiert einzelne Krankheitsbilder, wie die Schizophrenie oder die Depression, ausführen und erläutern. Vielmehr möchte es Menschen, die mit psychisch Kranken beruflich arbeiten, und interessierten medizinischen Laien Anregung sein, sich den psychopathologischen Phänomenen einmal anders als in dem herkömmlichen Dualismus von Krankheit versus Gesundheit anzunähern. Es soll Verständnis dafür geweckt werden, was jenseits des Einzelfalles eigentlich hinter den sogenannten psychopathologischen Auffälligkeiten des Menschen generell steht. Dieses Verständnis ist, dem Thema des Buches folgend, deckungsgleich mit Selbsterkenntnis für den Leser. Das berühmte Bild »La Reproduction Interdite« von René Magritte zeigt einen jungen Mann, der mit dem Rücken zum Bildbetrachter vor einem Spiegel steht. Der Spiegel jedoch zeigt dabei nicht, wie zu erwarten wäre, das Gesicht des Mannes, sondern seinen Hinterkopf. Die Beschäftigung
mit der menschlichen Psychopathologie, wie wir sie im Verlauf des Buches kennenlernen werden, gleicht ebenso einem Blick in den Spiegel. Dort gibt es überraschende Ansichten unserer selbst, die ansonsten uneinsehbar blieben. Möglich werden somit - für alle, die sich darauf einlassen wollen - Selbsteinsichten.

Die Evolutionstheorie als Kompass
    Der Leser wird während der Lektüre des Buches in Verbindung mit seinen eigenen Lebenserfahrungen den fehlenden Labyrinthgrundriss der menschlichen Seele anhand einiger psychopathologischer Phänomene in Ansätzen skizzieren lernen. Was üblicherweise als Psychopathologie bezeichnet wird, ist nämlich nichts anderes als eine spezifische Verdichtung des menschlichen Seins und seiner Funktionsweise, die im Gehirn lokalisiert ist. Dafür ist es aber notwendig, dass der Leser nicht nur in das Buch, sondern im Verlauf der Lektüre auch immer wieder in sich selbst blickt. Sorgen, Ängste, Nöte und Glücksgefühle kennt jeder Mensch, und die Beschäftigung mit diesen persönlichen Erfahrungen ist
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