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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins
Autoren: Markus Preiter
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Fehlberechnungen in Schwellensituationen des Lebens, an deren Übergänge neue Gefahren auftauchen, sind dann die Folge.
    Der hier unterstellte Denkfehler der Psychiatrie, der in der Interpretation psychotischen Geschehens am schwerwiegendsten ist, aber eigentlich für alle Krankheitsbilder gilt, beruht, wie schon mehrfach gesagt, auf der mangelnden Frage nach der Funktionsweise im Gesunden und auf der schon in der Einleitung behaupteten Erkenntnisphobie innerhalb der Psychiatrie . Wer als sich einlassender Behandler nach seiner Begleitungsteilergänzerfunktion eines psychoseerkrankten Patienten von der Stippvisite
aus dem Psychosevietnam eines anderen an die Heimatfront zurückkehrt, der kann, wenn er die Augen öffnet, auch nicht mehr ganz unbekümmert weitermachen, als wäre nicht auch in seinem Leben etwas geschehen. Aber wer will schon in den Abgrund schauen und sehen: Das dünne Seil, auf dem ich über ihn hinwegtänzle, ist gar nicht existent?

Nachüberlegungen
    Die Bedeutung für das Menschenbild des beginnenden 21. Jahrhunderts
    Damit ist unsere Reise durch das weite Feld der Menschwerdung zu Ende. Wir waren Zeuge, wie sich in einem gewaltigen, viele Millionen Jahre dauernden Anlauf unsere menschlichen Eigenschaften vorbereitet haben, wie sie nach diesem Anlauf in der Individualentwicklung eines jeden von uns zum Sprung ansetzen und schließlich zu einem riskanten persönlichen Höhenflug werden. Der persönliche Höhenflug ist dabei nur machbar geworden durch den ungeheueren Anlauf, den die Evolution ermöglicht hat. Kein anderes Tier springt höher oder weiter als der Mensch. Kein anderes Tier ist wie der Mensch in der Lage, von seinen evolutionären Möglichkeiten wegzuspringen. Wir können durch Technik unsere Sinne verfeinern, z.B. elektromagnetische Wellen darstellen, die wir von unseren evolutionären biologischen Voraussetzungen her gar nicht »empfangen« können. Wir können uns von unserem angestammten Biotop, der Erde, lösen und in das Weltall hinausfliegen, bis zum Mond und zurück. Wir können von der Welt viel mehr verstehen, als notwendig ist, um zu überleben, und wir können mit diesem Wissen viel Gutes tun, wie die wissenschaftliche Entdeckung beispielsweise von Penicillin zeigt. Paradoxerweise zerstört dieses Wissen gleichzeitig wertvolles menschliches Leben, wie die Weltkriege einschließlich der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki verdeutlichen.
    Und dennoch ist der Mensch trotz seiner immensen Sprungweite verwurzelt in und abhängig von seinem evolutionären Anlauf und von diesem nicht gänzlich frei.
    Kein Mensch ist frei von seiner Geschichte. Weder von seiner individuellen, noch von unserer gemeinsam geteilten evolutionären Historie. Beide verschränken sich in uns zu einer unserer Art eigenen
Wechselwirkung und verschmelzen zu etwas Einzigartigem. Jeder Leser dieses Buches ist ein Original. Aber jeder Leser dieses Buches ist auch in den entscheidenden Funktionsweisen identisch mit allen anderen Lesern. Diese Funktionsweisen darzustellen, ihre ansonsten lautlose Arbeit offenzulegen, war das Thema dieses Buches. Die Funktionsweise des Menschen offenbart sich, wie wir gesehen haben, in den psychopathologischen Phänomenen, wie sie in der psychiatrischen Arbeit beobachtet werden. Sie sind Chiffren einer hoch komplizierten biologischen Struktur, eines biologischen Superrechners, der wunderbare Leistungen erbringt, aber eben auch Fehlerpotenzen hat. Eine Systematik der Fehleranalysen, also der psychopathologischen Auffälligkeiten, ermöglicht, Fragen zu beantworten nach dem generellen Strukturaufbau des Superrechners und seiner Funktionsweise im fehlerfreien Betriebsmodus.

Zwangsarbeiter in den Steinbrüchen des Lebens
    Wenn Menschen krank werden, sind sie unmittelbar mit den Stützpfeilern ihres Seins konfrontiert. Das gilt für körperliche Erkrankungen wie auch für psychische.
    Beide führen den Menschen in die Fragwürdigkeit und Fragilität seiner Existenz hinein und beenden zumindest kurzfristig das unbeschwerte, gesund naive »Weiter so«, das die Normalität kennzeichnet. Es entsteht unweigerlich eine Distanz zum Bisherigen des Alltags, eine schmerzliche Entfremdung von sich, von den bisherigen Lebensgewohnheiten und von den anderen Menschen. Mit dieser Distanz wird ein neuer Blickwinkel aufgezwungen, mit allen Gefahren und Möglichkeiten, die ein neuer Blickwinkel immer mit sich bringt. So gesehen sind Menschen, die in eine psychische Krise hineinstürzen,
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