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Die Logik des Verruecktseins

Titel: Die Logik des Verruecktseins
Autoren: Markus Preiter
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harmlos geben, aber mit euch unter einer Decke stecken. Ihr seid mit eurer Macht unmittelbar an mich herangerückt, ich bin umzingelt bis auf den letzten Meter.
    Fallbeispiel: Ein vollkommen verwahrloster, extrem abgemagerter Mann mit langem Bart und verfilzter Löwenmähne wird in Polizeibegleitung in die Klinik gebracht. Er spricht kaum und nimmt von sich aus keinerlei Kontakt auf, auch dargereichte Nahrung nimmt er nicht an. Er steht, teilweise stundenlang, nur da, geht dann wenige Schritte und verbleibt wieder über Stunden alles um ihn herum beobachtend auf seinem Posten. Nach eingeleiteter psychopharmakologischer Behandlung ist er nach einigen Tagen in der Lage, mit uns, den Behandlern, zu sprechen, entwickelt schließlich mehr und mehr Vertrauen und kann bald Auskunft über seine Erlebnisse geben. Im Laufe seines vieljährigen, unbehandelt gebliebenen Psychoseprozesses hatte er die wahnhafte Gewissheit entwickelt, vom Geheimdienst einer ausländischen Macht überwacht zu werden. Dabei waren seine Verfolger in seinem Erleben schließlich in seine Wohnung eingedrungen und hatten Schritt für Schritt die verschiedenen Räumlichkeiten mit Gift
kontaminiert. Nach und nach konnte er einen Raum nach dem anderen nicht mehr betreten und zog sich schließlich in die Ecke seiner Küche zurück, die den letzten sicheren Raum bildete. Dort kauerte er wochenlang, sich durch Leitungswasser vor dem Verdursten rettend, auf dem Boden, drohenden Stimmen lauschend und ausgeliefert. Schließlich alarmierten die Nachbarn den Vermieter aufgrund des entstandenen üblen Geruchs. Bei der Wohnungsöffnung durch die Polizei bot sich dieser ein schauriges Bild.
Erste Außenraumbühne
    Ich stehe keinem Ding mehr gegenüber. Die Welt ist mir eine Zwangsjacke, die mir keinen ungefährdeten Raum mehr lässt. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Mir bleibt kein Freiheitsraum im Außen. Ich verweigere alles, weil alles gegen mich ist. Ich nehme nichts mehr von der Welt, keine Nahrung, keine Kommunikationsaufforderung, keinen Blick nehme ich mehr auf. Ich gebe nichts mehr in die Welt, scheide nichts mehr aus, spreche nicht, setze nichts mehr ab. Mein Ich zerfällt an euch, und ihr seid nur noch eins.
    Wo kein Mauseloch mehr bleibt, sich vor dem großen, furchtbaren Außen zu verbergen, bleibt nur noch die Unbeweglichkeit und das Verbergen in der Schweigsamkeit. Der letzte Fluchtort gleicht in seiner Funktionsfähigkeit quasiuterinen Seins der Frühzeit des Werdens. Die psychotische Bühnenexplosion im Außen wirft mich zurück in die Reifungszeit, mit der alles begann.
Innenraumbühne
    Das Gehirn projiziert nicht nur die Welt um uns herum, sondern auch uns selbst: Dies ist mein Leib, über dessen Meinhaftigkeit es keinen Zweifel gibt. Im Kreuzfeuer der Blicke halte ich meine Gesichtsmaske hoch, hinter die mir keiner blickt. Dass ich eine Einheit bin, ist selbstverständlich.

    Die Weltverständnisbasis, von der aus wir unsere Expedition in das Unternehmen Leben wagen, ist die Überzeugung, dass wir wir selbst sind und tatsächlich so existieren, wie wir uns wahrnehmen. Die Wahrnehmung unserer eigenen Meinhaftigkeit ist aber nur eine Illusion. Das Gehirn schafft eine Entitätsillusion über uns selbst, die so echt wirkt, dass jeder auf sie hereinfallen muss - jeder, bis auf die Menschen, die psychoseerfahren sind. Zerfällt die letzte Illusionsbastion, nämlich das eigene Erleben, Realität zu sein, so explodiert die letzte Weltbühne und die Innenraumbühne fusioniert mit der Welt: Dies ist nicht mein Leib. An der Euerhaftigkeit dessen, was ich für das Meinige hielt, gibt es jetzt keinen Zweifel mehr. Meine Gedanken sind von euch gemacht, meine Bewegungen sind von euch gemacht, das Außen geht in mir spazieren und übernimmt die Regie. Ein letzter Kern von Ich beobachtet noch, wie das, was ich für das Meinige hielt, von euch übernommen wird. Strahlen dringen in mich ein, etwas wandert in mir herum. Ich registriere nur noch, ich handle aber nicht mehr, das macht jetzt ihr. Der letzte Rest von Ich hat nichts mehr zu entscheiden, ich sehe zu, wie ich mich auflösend untergehe, sehe zu, wie das Ich am Ereignis zerfällt …

Psychose: Das Gehirn im abgesicherten Betriebssystem
    Wir wollen noch einmal zusammenfassen: Das Gehirn entwirft die Welt und schafft sich eine Weltillusion einschließlich der eigenen Existenz und Ich-Zentrierung. Damit navigiert das Gehirn durch das soziale Miteinander und somit durch die belebte und unbelebte Welt da
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