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Die Loge der Nacht

Die Loge der Nacht

Titel: Die Loge der Nacht
Autoren: Vampira VA
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zu eigenem Leben erwacht. Selbst Boden, Decke und Wände bewegten und wölbten sich auf unmögliche Weise. Und der Soldat in der abgerissenen Uniform erschien dem Jungen als unförmige Kreatur, deren Leib sich fortwährend blähte und ihre Gestalt veränderte.
    Daß der andere jetzt im Durchwühlen der Regale innehielt und sich ihm zuwandte, erkannte er dennoch. Wie in ruckhaften Sprüngen schien er näherzukommen, und mit jedem dieser Sprünge wuchs seine Statur ein ganzes Stück, bis er wie ein Riese vor dem Knaben aufragte. Der zwang einen Abglanz jener seltsamen Wut in seinen Blick - oder wenigstens doch etwas wie Trotz, der seine Furcht kaschierte.
    »Für die Wahl neuer Schuhe ist später Zeit«, grollte der schmutzige Hüne, mit einer wegwerfenden Geste zu den Regalreihen weisend. »Erst werd' ich mich um dich . Was glotzt du so blöde, verdammter Lümmel?«
    »Dafür, daß'd meine Leut' erschlagen hast, wünscht' ich ...«, zischte der Junge, so fest und energisch, daß er vor Schreck nicht weitersprach.
    Der Soldat lachte widerwärtig.
    »Wünsch dir ruhig was«, sagte er dann. »Vielleicht geht er ja in Er-füllung, dein letzter Wunsch.«
    »Der Teufel soll dich holen«, erwiderte der Bub ohne Zittern. »In der tiefsten Höll' soll er dich braten, bis zum Hals rauf soll er dich ins ärgste Fegfeuer stellen! Und brennende Kienspäne soll er dir in die Augen stechen, du elender Mörder!«
    »Fromme Wünsche, die du hast, Kleiner«, grollte der Hüne. »Aber in Erfüllung werden's nicht gehen. Eher schon schick' ich jetzt dich zum Leibhaftigen runter.«
    Ein mattes Flirren fuhr durch die Luft, als der Soldat den Waffenarm hob.
    »Grüß ihn recht schön von mir«, lachte er. »Und sag ihm, daß ich mir noch Zeit lassen werd', eh' ich ihn aufsuch'.«
    Der Blick des Knaben hing wie hingeklebt an der Klinge des hochgerissenen Säbels. Nur ganz am Grund seiner weitgeöffneten Augen flackerte es wie von vager Angst. Überloht wurde es jedoch von einem ganz eigenen Glanz, hart und dunkel, fast wie von Metall, auf dem sich die Glut des Schmiedefeuers spiegelte.
    Die Gedanken des Jungen suchten und fanden eigene Wege und formulierten einen Wunsch, der ihm aus tiefstem Herzen kam.
    Der Säbel, mit dem er Mutter und Vater erschlagen hatte, sollte dem Mörder selbst den Tod bringen! Tief hineinfahren sollte er ihm in die Brust und ihm Herz und Seele aufspießen, auf daß der Teufel sie daran braten möge wie eine Sau am Spieß.
    Nichts wünschte sich der Knabe mehr.
    Und er tat es - mit aller Macht...
    Wie im Reflex kniff er die Augen zu, als die Klinge blitzend niederfuhr!
    *
    Der Junge fragte sich, ob er das feuchte Splittern seines eigenen Schädelknochens noch hören würde, ob er den furchtbaren Schmerz noch spüren würde - oder ob der Tod schneller sein würde als jede Wahrnehmung.
    Und es blieb ihm Zeit, um darüber nachzusinnen, viel Zeit - zu viel Zeit!
    Der Säbel hätte ihn zehnmal treffen müssen in all dieser Zeit, in der er mit geschlossenen Augen dasaß und sein Ende erwartete. Längst hätten ihn die Klinge und die mörderische Gewalt, die sie führte, hinstrecken müssen. Oder - - war es schon geschehen? Und, so fragte sich der Junge, hatte er am Ende schon die Antwort auf seine Frage erhalten? War alles viel zu schnell gegangen, als daß er noch Schmerz oder irgend etwas hätte spüren können?
    War so - der Tod? Erkannte man als Sterbender keinen Unterschied zwischen ihm und dem Leben, überwand man die Schwelle zum Jenseits, ohne es zu merken? Nun, ging es dem Knaben durch den Sinn, wenn es so war, dann brauchte kein Mensch den Tod zu fürchten, weil er kaum mehr war als ein bloßer Schritt hinüber in ein anderes Leben.
    Ob es auch ein besseres war, dieses Leben nach dem Tode? Ob er wohl seine Eltern wiedersehen würde, die vor ihm ins Jenseits eingegangen waren? Die Fragen nahmen kein Ende im Kopf des Knaben. Die Antwort würde er nur finden, wenn er die Augen aufschlug.
    Just als er es tat, irritierte ihn ein Geräusch - wie von splitterndem Holz.
    Und dann sah der Junge -
    - daß er noch lebte! Und daß sich daran wohl nichts ändern würde - nicht in allernächster Zeit zumindest.
    Denn der Marodeur war mit anderem beschäftigt, als einem kleinen Jungen den Schädel zu spalten.
    Wieder und wieder stieß er die Spitze seines Säbels ins Holz des Dielenbodens; Splitter um Splitter brach er damit heraus. Sein Ge-sicht war wie von Wahn verzerrt, aber hinter dieser Maske fand der Knabe einen
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