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Die Loge der Nacht

Die Loge der Nacht

Titel: Die Loge der Nacht
Autoren: Vampira VA
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tieferen, den wahren Ausdruck in den Zügen des Soldaten: eine fast komisch anmutende Mischung aus ungläubigem Staunen und an Panik grenzender Angst. Als könnte er zum einen nicht begreifen, was er da überhaupt tat oder warum er es tat; und zum anderen, als würde es ihn zutiefst entsetzen.
    Auch der Junge selbst verstand es nicht recht. Im ersten Moment jedenfalls. Dann aber keimte eine Ahnung in ihm, und genährt von dem Wissen, was er vorhin schon »bewirkt« hatte, verdichtete sich diese Ahnung zur Gewißheit.
    Der allerletzte Rest von Zweifel schwand, als der Soldat endlich aufhörte, auf den Boden einzuhacken. Er hatte derweil ein gut faustgroßes Loch ins Holz geschlagen. Jetzt nahm er den Säbel bei der Spitze - so fest, daß ihm die Klinge tief ins Fleisch der Handballen und Finger schnitt - und schob den schlichten Griff der Waffe in den Bodenspalt. Kräftig drückte er dagegen, bis sich das Griffstück in dem Spalt verkantet hatte und die Klinge ihm entgegenstak.
    Der Junge wußte nun ganz sicher, was folgen würde. Liebend gern hätte er den Blick abgewandt, um nicht schon wieder Blut sehen zu müssen . doch er brachte es nicht fertig, den Kopf zu drehen oder auch nur die Augen zu schließen. Als unterstünden die Mechanismen seines Körpers nicht seinem Willen - nicht jetzt, da etwas Fremdes und auf widersinnige Weise doch ihm Eigenes darin dominierte.
    Der Soldat sah auf den Jungen hinab, so lange, daß er schon fürchtete, der andere könnte sich im letzten Moment noch widersetzen. Wenn er es geschafft hätte, da war sich der Knabe gewiß, würde seine Rache fürchterlich sein. Denn wer ihm aufzwang, was er zu tun im Begriff war, wußte der Soldat sehr wohl. Der Blick, mit dem er den Jungen maß, verriet es so deutlich, als würde er ihn lauthals anklagen.
    Aber der Mörder gehorchte - mußte gehorchen. Daß sein Innerstes sich sträubte, ohne gegen den fremden Zwang anzukommen, mochte das Ganze erst zur Strafe machen.
    Der Soldat vollführte einen grotesken Hüpfer, als ahmte er einen noch nicht flüggen Vogel nach. Im Sprung warf er sich nach vom. Mit der Wucht seines ganzen Gewichts traf seine Brust auf die Spitze des Säbels .
    Die Klinge bog sich, und einen winzigen Moment lang hatte es den Anschein, als würde sie brechen.
    Doch sie erwies sich als stark genug. Stärker als Muskeln, Fleisch und Knochen.
    Das Geräusch selbst klang in den Ohren des Jungen anders als jenes, mit dem der Stahl seine Eltern getötet hatte. Es währte länger und endete in einem dumpfen Dröhnen, als der Leib des Mörders schließlich durchbohrt auf die Dielen schlug.
    Mit einem solchem Laut muß am Tag des Jüngsten Gerichts der Hammer niederfahren, dachte der Junge, während er erneut jenen kalten Hauch in sich spürte, mit dem etwas Ungeheuerliches zurückkroch und sich irgendwo in seiner Brust zu einem eisigen Punkt verdichtete, den der nächste Herzschlag zu scheinbarem Nichts schmelzen ließ.
    Die Frage, wo er mit seinen »Wünschen« an eine Grenze stoßen würde, ließ ihn schaudern, während er sich erhob und auf den gerichteten Mörder seiner Eltern hinabsah. Denn das Gesicht des Toten war zur Seite gewandt. Und der Ausdruck aus ewig gefrorenen Entsetzens darin ließ wenigstens die Vermutung zu, daß auch all jene Dinge, die der Junge hinsichtlich der »tiefsten Hölle« und des »ärgsten Fegfeuers« gesagt hatte, in Erfüllung gegangen waren.
    *
    Seit vier Jahren währte der böse Krieg nun schon. Was drüben in Böhmen als Auseinandersetzung zwischen den Ständen, die um ihren Einfluß und ihren evangelischen Glauben gefürchtet hatten, und der kaiserlich-katholischen Liga mit dem sogeheißenen Prager Fens-tersturz seinen Anfang genommen hatte, war wie eine schleichende und immer weiter um sich greifende Seuche über ganz Deutschland gekommen.
    Worum es mittlerweile ging in diesem Krieg, wußte im einfachen Volk kaum ein Mensch mehr. Für sie machte es auch keinen Unterschied, wofür die Heere zu Felde zogen.
    Des Volkes Los blieb sich gleich: Es litt Hunger und fiel ins Elend, weil der Krieg und jene, die ihn betrieben, alles aufzehrten und in die Schlachten warfen.
    Und an diesem Tag, dem 19. September des Jahres 1622, langten die tod- und notbringenden Klauen des Kriegsmolochs also auch nach Heidelberg.
    Schon einmal, im Frühjahr, hatte Johann Tserclaes Graf von Tilly, der Feldherr der Liga, versucht, die Stadt zu erobern, war aber von Graf Ernst von Mansfeld neckaraufwärts abgedrängt worden.
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