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096 - Die Gräfin von Ascot

096 - Die Gräfin von Ascot

Titel: 096 - Die Gräfin von Ascot
Autoren: Edgar Wallace
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    Zu den Untugenden John Morlays gehörte vor allem Neugierde. Deshalb blieb er natürlich eines Morgens auch vor dem Gartentor einer kleinen Villa in Ascot stehen. In dem schmucken, aber nicht allzu großen Haus wurde eifrig gearbeitet, und das erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah durch eine Öffnung in der gradlinigen Hecke, wie Arbeiter eben einen Schrank hineintrugen. Weiter hinten bemerkte er einen frischgemähten Rasenplatz mit einem Bassin, und jenseits erhob sich das Wohngebäude aus roten Ziegeln. Breite weiße Sandsteinquadern bildeten die Fensterumrahmungen des zierlich wirkenden Hauses. Es lag ziemlich versteckt, so daß es wohl nur Leute wie John Morlay entdecken konnten, die Zeit und Lust hatten, planlos in der Gegend umherzustreifen. Es lag auch nicht an einer richtigen Straße, sondern an einem Weg, der sich in den Wiesen verlor. In der Nähe von Ascot gibt es eine ganze Anzahl ähnlicher Landsitze.
    Allem Anschein nach zog hier ein neuer Mieter ein - vielleicht hatte das kleine Grundstück sogar seinen Besitzer gewechselt. John folgte den Arbeitern, die mühsam schwere Möbelstücke den Kiesweg entlangschleppten. Der Weg war erst vor kurzem gesäubert worden, und das kleine Bassin, in dem sonst Wasserlilien gestanden haben mochten, war vollkommen ausgeräumt und mit klarem Wasser gefüllt. Ein Gärtner stand auf dem Rasen, lehnte sich auf den Griff seines kleinen Rasenmähers und wischte sich über die Stirn. Er grüßte John mit einer gewissen Ehrerbietung, wie es Dienstboten Fremden gegenüber tun, von denen sie nicht recht wissen, ob sie Freunde ihrer neuen Arbeitgeber sind oder nichts auf dem Grundstück zu suchen haben.
    »Sieben Millionen Kaulquappen waren in dem Teich«, erklärte er großartig und etwas zusammenhanglos.
    »Ich habe nur sechs Millionen gezählt«, erwiderte John vergnügt, und der Mann sah ihn verdutzt an. »Nun gut, wir wollen uns die Sache fünfzig zu fünfzig teilen. Ich will zugeben, daß es sechseinhalb waren.« »Als ich herkam, stand das Gras so hoch«, versuchte der Gärtner es aufs neue und deutete mit der Hand eine Höhe zwischen Hüfte und Knie an. »Das ist noch gar nichts. In meinem Garten steht es so hoch, daß ich mich darin verirren kann. Ziehen hier eigentlich neue Mieter ein?« »Ach, die?« Der Gärtner wies mit dem Daumen nach der offenen Haustür. »Nein, die haben es gekauft. Die alte Lady Coulson hat viele Jahre hier gelebt. Sie hat immer grüne Hüte auf den Pferderennen von Ascot getragen. Sicher können Sie sich noch auf sie besinnen?« John hatte das Gefühl, daß er mindestens ein nachdenkliches Gesicht machen müßte. »Nein«, sagte er, nachdem er sich besonnen hatte. »Wie viele grüne Hüte trug sie denn?«
    Der Gärtner sah ihn argwöhnisch von der Seite an und sagte langsam:
    »Eine Gräfin hat sie jetzt.«
    »Die Hüte? Ach so, Sie meinen die Besitzung!«
    »Eine junge Gräfin. Ich habe sie noch nicht gesehen. Sie kommt direkt vom College hierher. Ein Zimmermädchen und eine Köchin sind schon engagiert, auch eine Aufwartefrau - ich komme nur ab und zu her.« »Wie meinen Sie das?« fragte John interessiert.
    »Ich bin nur für zwei Tage in der Woche angestellt.« Er schüttelte den Kopf. »Das sollen die mir aber erst mal vormachen, hier in zwei Tagen mit allem fertig zu werden! Wenn der Garten richtig in Ordnung kommen soll, muß ein Mann die ganze Zeit hier arbeiten. Hier gibt es kein Gewächshaus - überhaupt gar nichts. Was soll denn im Winter werden? Da müssen die Pflanzen doch herausgenommen werden.« Der Gärtner machte sich wieder mit seiner Gras s chneidemas chine zu schaffen.
    John Morlay ging zur Haustür und schaute in die Diele. Der Fußboden war mit einem Läufer ausgelegt, und es roch nach neuer Farbe. Ein Elektriker in weißem Arbeitskittel ließ einen Draht fallen, um den Fremden genauer zu betrachten. Morlay wandte sich um und ging langsam um das Haus herum. Es war wirklich ein herrlicher kleiner Besitz, der sich für eine junge Gräfin besonders eignete. John überlegte, welche von den vielen Gräfinnen, die er kannte, wohl die glückliche Eigentümerin wäre. Als er sich umdrehte, entdeckte er noch einen anderen Mann im Garten. Der Fremde war groß, breitschultrig, nicht mehr jung und trug schäbige Kleider. Sein Gesicht hatte eine ungesunde Farbe, und der abstoßende Eindruck seiner Züge wurde noch durch den unwirschen, verbitterten Blick erhöht, mit dem der Mann das Haus musterte. Etwas Scheues lag in seinem Wesen,
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