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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador
Autoren: Julia Drosten
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seinen Frack aus und legte ihn
um Sibyllas Schultern. „Was machst du denn hier, Kind?“, fragte er immer wieder
fassungslos. „Was willst du nur im Hafen?“
    „Es ist wegen Oscar“, flüsterte sie
kleinlaut. „Ich wollte dir erzählen, dass er am Sonntag für Eaton spielen
wird.“ Es erschien ihr nun selbst lächerlich, jetzt, da ihr Ausflug
buchstäblich ins Wasser gefallen war.
    Sekundenlang blickte Richard sie
verständnislos an. „Verstehe ich dich richtig? Deshalb fährst du zum Hafen? Ja
bist du denn …!“ Den Rest des Satzes schluckte er hinunter, denn sie waren von
einem halben Dutzend neugieriger Zuhörer umringt. Doch sein Tadel hatte Sibylla
verletzt. Vor ein paar Minuten noch war sie in Gefahr gewesen, zu ertrinken,
aber seine Sorge hatte nur kurz gewährt, bevor er wieder etwas an ihr
auszusetzen fand. Wenigstens kümmerte einer der Fuhrwerker sich um ihr Pferd
und hielt die Stute in sicherer Entfernung zur Kaimauer am Geschirr. Auch der
Gig schien heil geblieben. Die Karosserie war an der Seite, wo sie über die
Kaimauer geschleift worden war, zerschrammt, aber zumindest stand der Wagen auf
seinen beiden Rädern.
    Inzwischen hatte auch Benjamin den Kai
erreicht. Wasser tropfte aus seinem Gehrock, an seinem Hemdkragen klebten
Algen, und die sorgsam polierten Schuhe waren ruiniert.
    Spencer nahm Benjamins Rechte und drückte sie
fest. „Sie haben meine Tochter gerettet. Dafür bin ich Ihnen zu tiefstem Dank
verpflichtet, Mr. Hopkins.“
    Benjamin verbeugte sich. „Eine
Selbstverständlichkeit für einen Gentleman!“ Das Hafenwasser war kalt gewesen.
Er klapperte mit den Zähnen und wirkte in seinem triefenden Aufzug so komisch,
dass Sibylla sich ein Lächeln verkneifen musste. Sie trat neben ihren Vater:
„Auch ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Mr. Hopkins.“
    „Geht es Ihnen denn gut, Miss Spencer?“,
fragte Benjamin besorgt. „Brauchen Sie einen Arzt?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin unverletzt.
Der Aufprall war allerdings ziemlich unsanft, und ich werde vermutlich ein paar
blaue Flecken bekommen. Hatschi!“
    „Eine Erkältung kommt wohl noch dazu, aber
die hast du bei so viel Unvernunft auch verdient“, brummte ihr Vater. Er winkte
einen der Hafenarbeiter heran, zog ein paar Münzen aus seiner Westentasche und
drückte sie dem Mann in die Hand. „Besorgen Sie zwei Garnituren
Arbeitskleidung, und bringen Sie sie zu Speicher drei. Sibylla, du wirst dich,
bis du zu Hause bist, mit Männerkleidung begnügen müssen.“
    Er legte einen Arm um seine Tochter und
bedeutete Benjamin, ihm zu folgen. „Kommen Sie mit, Hopkins! In Speicher drei
werden wir bestimmt ein paar Kaffeesäcke finden, hinter denen Sie sich
abtrocknen und umziehen können.“
    „Einen Augenblick noch, Sir.“ Benjamin zog
ein Taschentuch aus seiner Weste, um ein paar Algen von seinen Schuhen zu
wischen.
    „Manche Netze reißen im passenden Moment,
was, Hopkins?“, raunte eine Stimme hinter ihm.
    Benjamin blickte über die Schulter. Nathaniel
Brown, der Kapitän der Queen Charlotte, stand hinter ihm und blickte ihn aus
kalten schwarzen Augen an.
    „Was wollen Sie damit sagen? Haben Sie etwas
damit zu tun?“ Benjamin rückte unwillkürlich von ihm ab.
    „War doch eine gute Idee, um unser kleines
Geschäft zu vertuschen.“
    „Benjamin schnappte nach Luft. „Um ein Haar
hätten Sie uns umgebracht!“
    Nathaniel Brown grinste verächtlich. „Was
kann ich dafür, dass Sie und die Tochter vom Reeder im falschen Moment auftauchen?
Wenn Sie schlau sind, melden Sie Spencer, dass alle sechs Fässer aus dem Netz
gefallen und kaputt gegangen sind.“
    „Alle sechs?“ Benjamin blickte verwirrt zum
Kran. „Es waren doch nur …“
    „Es waren sechs, Sie Dummkopf!“, unterbrach
Brown ihn ungehalten. „Zwei und die vier, die schon auf der Themse von Bord
gegangen sind. Spencer wird nichts merken. Er war so mit seiner Tochter
beschäftigt, er hat keinen Blick auf die Netze geworfen.“
    Benjamin blickte sich unwillkürlich nach
allen Seiten um, ob auch niemand sie gehört hatte. Doch es war viel zu laut,
und Richard Spencer und seine Tochter waren längst im Lagerhaus verschwunden.
    Schon lange machten er und Brown heimlich
kleine Geschäfte am Reeder vorbei. Bei Nacht und Nebel, wenn das Schiff noch im
Fluss lag, schafften sie ein paar Fässer Rum oder Zucker, ein paar Säcke Tabak
oder Kaffee von Bord, um sie zoll- und steuerfrei unter der Hand
weiterzuverkaufen. Dabei sprang für beide ein hübscher
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