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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador
Autoren: Julia Drosten
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Kollegen als Held dastehen, während er
gleichzeitig den Spencers gegenüber die schuldige Diskretion bewahrt hatte.
    Schließlich mahnte der stets korrekte
Donovan: „Geht wieder an die Arbeit! Lasst Hopkins in Ruhe!“
    Widerstrebend beugten die Einkäufer und
Schreiber, die Buchhalter und Handelsgehilfen sich wieder über ihre Papiere.
    Die Tür zum Kontor wurde geöffnet, und
Richard Spencer steckte den Kopf herein. „Hopkins, kommen Sie doch bitte ein
paar Minuten in mein Büro! Donovan, sorgen Sie dafür, dass wir zwei Tassen Tee
bekommen!“
     
    Ein großer quadratischer Raum diente als Büro
des Chefs. Vor einem der Fenster stand ein Schreibpult mit Tintenfass, Federn
und Mappen und einer Tischlampe, die im Gegensatz zu den alten Öllampen im
Schreibsaal mit Gas betrieben wurde. Der Chef arbeitete auch nicht am Stehpult
wie seine Angestellten, er konnte an seinem Schreibtisch bequem sitzen. An den
Wänden standen Regale, in denen Akten und Papierrollen mit Schiffsentwürfen
lagerten, daneben befand sich ein mit drei Schlössern gesicherter Schrank, in
dem Geld und wichtige Urkunden aufbewahrt wurden. In einer Ecke gruppierten
sich vier Stühle um einen einfachen eckigen Konferenztisch.
    Von den Werkstätten im Hof drangen gedämpfte
Stimmen, Hämmern, Klopf- und Sägegeräusche herein.
    Es klopfte. Ein Schreiberlehrling kam mit
einem Tablett herein, stellte Tassen, Zucker und Milch auf den Konferenztisch,
goss dampfenden Tee ein und zog sich dann wieder zurück.
    „Bitte“, sagte Spencer und wies auf den
Tisch, „nehmen Sie Platz.“ Er war ein fülliger Mann, dessen rote Wangen einen
starken Kontrast zu dem sorgfältig gestutzten graumelierten Bart bildeten und
eine Vorliebe für gutes Essen und guten Wein offenbarten. Die Augen unter der
hohen Stirn und den buschigen Brauen jedoch blickten nüchtern und klar.
    Benjamin folgte der Aufforderung mit
feierlicher Miene. Zum ersten Mal in den dreizehn Jahren, die er für die
Reederei arbeitete, durfte er mit seinem Chef Tee trinken.
    Spencer rührte in seiner Tasse, nahm einen
Schluck und kam ohne Umschweife zur Sache. „Wie viele Fässer sind uns bei dem
Unfall auf den Docks kaputt gegangen?“
    „Sechs, Sir“, erwiderte Benjamin mit
klopfendem Herzen. Aber als Spencer einfach nickte, setzte er mutig hinzu: „Ich
werde den Schaden der Versicherung melden. Dann macht die Reederei keinen
finanziellen Verlust.“
    „Hervorragend, Hopkins, hervorragend!“
Richard wirkte hochzufrieden. „Schlagen Sie die vier Fässer von der Unicorn,
die uns vor zwei Monaten verlorengegangen sind, gleich mit dazu. Wofür bezahlen
wir den Halsabschneidern von Lloyd’s sonst jedes Jahr horrende Summen?“
    Benjamin nickte zustimmend. Insgeheim fragte
er sich, warum der Chef ihn ins Büro gerufen hatte. Waren die Frachtverluste
der letzten Monate zu hoch gewesen? Doch was Richard Spencer dann sagte,
überraschte Benjamin völlig.
    „Mein Sohn bestreitet am Sonntag sein erstes
Cricketspiel, eine großartige Sache.“
    „Ihre Tochter erwähnte es, Sir“, entgegnete
Benjamin höflich.
    Spencer räusperte sich. „Sie wissen also
schon Bescheid. Sehr gut. Dann kommen Sie doch am Sonntag nach St. Johns Wood,
und feuern Sie den Jungen mit uns an! Ich habe den Eindruck, dass Sybilla sich
über Ihre Anwesenheit freuen würde.“
    „Es ist mir eine Ehre, Mr. Spencer!“
Überwältigt schoss Benjamin von seinem Stuhl, um sich zu verbeugen. „Es wird
mir eine besondere Freude sein, Ihre reizende Tochter wiederzusehen!“
    Richard leerte seine Teetasse.
„Ausgezeichnet! Dann sind Sie also Sonntag mit von der Partie.“

Kapitel
drei - St. Johns Wood im Juni 1835
     
    Benjamin Hopkins beobachtete Sibylla, die in
einem kornblumenblauen Sommerkleid, das ihre Augenfarbe betonte, sehr hübsch
aussah. Ihr blondes Haar war über den Ohren zu Korkenzieherlocken gedreht, das
Hutband hatte sie seitlich vom Kinn zu einer kecken Schleife gebunden. Während
die Damen mit ihren Sonnenschirmen, bunten Kleidern und gemusterten Seidenschals
wie Paradiesvögel aussahen, wirkten die Herren in dunklen Fräcken, Zylindern
und langen engen Hosen sehr vornehm.
    Dreitausend Londoner waren an diesem warmen
Junisonntag zum Cricketfeld nach St. Johns Wood am Londoner Regent’s Park
gekommen, um bei einem der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse der Saison
dabei zu sein - dem alljährlichen Cricketmatch Eton gegen Harrow, den beiden
besten Schulen des Landes.
    Am Morgen hatte das Spiel begonnen,
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