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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien
Autoren: Tanja Kinkel
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ungewöhnlich, denn neugeborene Kinder starben zu jener Zeit noch leicht und schnell. Doch dies würde nicht irgendeine Taufe sein; ein großer Teil des aquitanischen Adels strömte nach Bordeaux, die Stadt selbst war durch Girlanden, bunte Tücher und Blumen zu einem Farbenmeer geworden, und obwohl bereits alle Herbergen, Klöster und Burgen der Umgebung mit Gästen belegt waren, trafen mit jedem Tag noch weitere Neuankömmlinge ein. Doch womit Guillaume gewiß nicht gerechnet hatte, war, daß ihm ein Herold am Tag vor der Taufe die Ankunft seines Vaters, des Herzogs von Aquitanien, ankündigte. Es blieben ihm genau vierundzwanzig Stunden, um sich auf diese Nachricht einzustellen, bevor er dem Herzog auf dem Schloßhof von Belin gegenübertreten mußte. Wie es sich für einen Vasallen gebührte, faßte er das Pferd seines Vaters beim Zügel. Der Herzog schwang sich mit einer Mühelosigkeit, um die ihn jeder jüngere Mann hätte beneiden können, aus dem Sattel, und Guillaume kniete vor ihm nieder.
    »Euer Gnaden.«
    Er fühlte sich jäh aufgehoben und umarmt; sofort versteifte er sich. Falls sein Vater es merkte, ließ er es nicht erkennen. »Zum Teufel, Guillaume, das Leben ist doch wunderbar! Wenngleich ich sagen muß, daß du dich mit so einer Botschaft etwas mehr hättest beeilen können - Lusignan wußte es eher als ich!«
    »Ich nahm an, Ihr wäret enttäuscht, weil es kein Sohn ist«, entgegnete Guillaume kühl.

    Sein Vater grinste. »Ich über ein Mädchen enttäuscht? Ich halte jedes einzelne von ihnen für einen Segen für die Menschheit, mein Junge! Außerdem hoffe ich doch, daß du noch mehr Kinder haben wirst. Da fällt mir ein«, er schaute suchend über sein Gefolge hinweg, »ich habe deinen Bruder mitgebracht. Er wollte die Taufe um keinen Preis versäumen. Raymond!«
    Ein blonder Schopf hob sich. Da überall Gäste, Knechte und sonstige Bedienstete umherliefen, hatte Raymond es nicht leicht, sich seinen Weg durch die Menge zu bahnen. Endlich stand er vor ihnen.
    Guillaume bückte sich, nahm seinen kleinen Bruder auf und schwang ihn freudig herum. Raymond war ein liebenswerter Junge, lebhaft, ohne heftig zu sein, schlank und mager wie seine Mutter. Guillaume, dessen Mutter bei seiner Geburt gestorben war, konnte sich an keine andere Mutter als Felipa erinnern und dachte so gut wie nie daran, daß Raymond nur sein Halbbruder war. Wären sie gleichaltrig gewesen, hätten sie wie viele Fürstensöhne möglicherweise Rivalen sein können, doch so hing Raymond mit unerschütterlicher Heldenverehrung an Guillaume, und Guillaume brachte ihm seine uneingeschränkte Bruderliebe entgegen.
    »Ich wollte Raymond einige Zeit bei dir lassen«, bemerkte der Herzog. »Hier ist es ruhiger, und in Poitiers fühlt er sich doch recht einsam.«
    »Das habe ich nie gesagt!« protestierte Raymond, und sein Vater kniff ihn in die Wange.
    »Nein, aber hast du vergessen, daß ich Gedanken lesen kann?
    Zum Beispiel weiß ich jetzt ganz genau, wo es dich hinzieht - zu den Ställen, um beim Absatteln der Pferde zu helfen!«
    »So ist es«, bekannte Raymond, um gleich darauf eifrig zu fragen:
    »Darf ich?«
    Der Herzog nickte, und Raymond rannte davon. Lachend wandte sich Guillaume IX an seinen Sohn, stieß ihn in die Rippen und meinte: »Wie du in seinem Alter; Pferde, Pferde, nichts als Pferde.«
    Guillaume wollte gerade zustimmen, hielt aber ungläubig inne.
    War es möglich, daß er sich schon wieder bereit fand, mit seinem Vater zu scherzen, als sei nichts geschehen? Wie kennzeichnend das doch für seinen Vater war, dachte er mit aufwallendem Zorn, zu glauben, er brauche nur zu lächeln und sich liebevoll zu geben, und schon war alles wieder in Ordnung.
    »Ich erinnere mich nicht, Euer Gnaden«, erwiderte er hart und abweisend.
    Der Herzog blickte ihn nachdenklich an. »Nun«, sagte er langsam,
    »wie du willst. Aber ich möchte meine Enkeltochter sehen. Sollten wir nicht auch Aenor unsere Aufwartung machen?«

    Guillaume saß vor dem Feuer in der kleinen Halle und starrte in die erlöschenden Flammen. Als er Schritte hinter sich hörte, nahm er an, es sei der Mundschenk, und befahl, ohne sich umzudrehen:
    »Bring mir noch etwas Wein!«
    »Lieber nicht«, entgegnete eine wohlvertraute Stimme, »zuviel davon am Abend verträgst du nicht gut, weißt du das nicht, Guillaume?«
    Er sprang auf.
    »Setz dich«, sagte der Herzog und ließ sich mit einem Seufzer auf dem ausgebreiteten Bärenfell nieder. Guillaume sah ihn an. Warum
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