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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien
Autoren: Tanja Kinkel
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ist meine Mutter. Aber ich möchte nicht, daß du mit ihr sprichst oder in ihre Nähe gehst, mein Kind, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.«
    Aenor hatte ihre Gründe, und die Liaison ihrer Mutter mit Guillaumes Vater war nur einer davon. Ihr ganzes Leben lang hatte Aenor beobachtet, wie ihre Mutter Menschen durch ihren Zauber an sich band und dann jäh wieder fallenließ. Darin unterschied sie sich vom Herzog, dachte Aenor; denn er ist wenigstens zu beständiger Zuneigung fähig. Außerdem verabscheute sie die Art, in der ihre Mutter Pläne machte und, ständig nach mehr Macht suchend, intrigierte. Sie hatte Aenors Heirat mit Guillaume betrieben, und als sie entdeckte, daß es ihr nicht genügend Macht einbrachte, die Schwiegermutter des zukünftigen Herzogs zu sein, hatte sie sich entschieden, auch noch die Geliebte des gegenwärtigen zu werden. Aenor fürchtete nichts mehr, als daß ihre Mutter auch Alienor in ihre Pläne einbeziehen und ausnutzen könnte.
    Andererseits bestand eigentlich noch keine große Gefahr deswegen. In den letzten fünf Jahren hatte sich die Geliebte des Herzogs nicht einmal nach ihren Enkelkindern erkundigt; sie waren ihr offensichtlich gleichgültig. Aenor hoffte es, und gleichzeitig, obwohl sie geglaubt hatte, sich längst mit dem Wesen ihrer Mutter abgefunden zu haben, schmerzte es sie.

    Alienor hatte noch nie etwas so Wunderbares erlebt wie ihre Ankunft in Poitiers. Ihr Großvater erschien ihr in seinen prunkvollen Staatsgewändern wirklich wie ein märchenhafter König, und er erlaubte ihr nicht nur, am abendlichen Festmahl teilzunehmen, nein, er forderte sie auch auf, an seiner Seite zu sitzen.
    »Mabelle Dangerosa wird es verstehen.«
    Seit der Herzog den Spitznamen seines Volkes für seine Geliebte erfahren hatte, der ihn ungeheuer belustigte, verwendete er ihn selbst.
    Die riesige Menge an Gästen, die fremdartigen Speisen, die ständig hereingetragen wurden, die vielen Gaukler, all das verdrehte Alienor leicht den Kopf, und sie wußte bald nicht mehr, wohin sie zuerst sehen sollte. Dann nahmen die Musikanten in der Galerie ihre Plätze ein, Flöten, Lauten und Tambourine erklangen, bis ihr Großvater aufstand und Schweigen gebot.
    »Jetzt soll die Zeit der Lieder sein«, sagte er, »aber zuerst müssen wir noch die Herrin des Festes bestimmen, die zwischen den Sängern richten wird.« Vorschläge wurden laut; die ernsthafter gemeinten nannten im Hinblick auf den Herzog Dangerosa, während die scherzhafteren meinten, man solle doch eine der Küchenmägde wählen, die ihrer aller Gaumen heute so wunderbar erfreut hatten. Endlich trat auf ein unmerkliches Zeichen des Herzogs ein Ritter aus seinem Gefolge vor, kniete vor Alienor nieder und fragte: »Dame Alienor, wollt Ihr unsere Herrin des Festes sein?«
    Alienor war so glücklich, daß sie am liebsten die ganze Welt umarmt hätte. Würdevoll, wie sie es bei anderen beobachtet hatte, gab sie zurück: »Es wäre mir eine Ehre.« Alle klatschten Beifall, die Spielleute stimmten erneut ihre Instrumente an, und staunend sah sie, daß ihr Großvater der erste war, der zu singen begann. Seine mächtige, sonst so rauhe Stimme klang auf einmal geübt und geschmeidig und füllte doch den ganzen Raum. Er trug ein Lied vor, das er im Heiligen Land gedichtet hatte, doch handelte es nicht von seinen Kämpfen, sondern von den Sarazeninnen. Alienor bemerkte, daß der Freund ihres Vaters, der Bischof von Bordeaux, die Stirn runzelte.
    Auch Cercamon und Blédhri der Waliser nahmen an dem Wettbewerb teil sowie mehrere Edelleute aus dem Gefolge des Herzogs, und am Ende war Alienor schrecklich verlegen. Sie wünschte, ihr Großvater hätte nicht ebenfalls gesungen, denn sie wollte ihn nicht enttäuschen. Doch sie wollte auch eine gerechte Richterin sein, und schließlich kletterte sie von ihrem hohen Stuhl an der Seite des Herzogs herunter und ging auf den jungen Adligen zu, dessen Vortrag ihr am besten gefallen hatte. Dieser kniete rasch nieder, damit sie nicht mehr so sehr zu ihm aufschauen mußte. Sie konnte es nicht unterdrücken, rasch einen vorsichtigen Blick auf ihren Großvater zu werfen, sagte aber laut und deutlich zu dem Sänger: »Euch gebührt der Preis.«

    Der Sänger nahm ihre Hand und küßte sie unter dem Beifall der Menge. Alienor sah wieder zu ihrem Großvater, dessen Gesicht ausdruckslos war.
    »Weißt du nicht«, fragte er süffisant, »daß man seinen Gastgeber nicht beleidigt, Alienor? Warum hast du nicht mich
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