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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien
Autoren: Tanja Kinkel
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überschäumenden Triumphstimmung, in der sich der Herzog befand, störte ihn das nicht weiter. Er würde Guillaume schon zur Einsicht bringen. Die Zukunft von Aquitanien war gesichert!
    Erst als sich die Aufregung um die Taufe etwas gelegt hatte, fand er die Zeit, auf seine anderen beiden Enkelkinder zu achten. Petronille schien ein träges kleines Nichts zu sein. Alienor war seit dem letzten Jahr um einiges gewachsen, und er bemerkte überrascht, daß ihre kindlichen Züge sich zu einer wirklichen Schönheit auszuwachsen versprachen. Sie besaß hohe Wangenknochen, eine gerade, feingezeichnete Nase, eine edle Stirn und ein eigensinniges Kinn. Ihre Augen leuchteten in einem warmen Haselnußbraun, und als sie ihn unerwarteterweise bat, sie auf die Jagd mitzunehmen, stimmte er bereitwillig zu.
    Er war entzückt darüber, daß sie eines der Ponys, die er aus Wales kommen ließ, allein reiten konnte, wenngleich er einen Mann aus seinem Gefolge anwies, ständig ein Auge auf sie zu haben. Zu Beginn war sie schweigsam, dann lenkte sie ihr Pony zu ihm und fragte mit großem Ernst: »Großvater, Euer Gnaden, können wir miteinander sprechen wie Erwachsene?«

    Innerlich belustigt erwiderte er in demselben Tonfall: »Gewiß.«
    Alienor strich über die Mähne ihres Ponys. Schließlich platzte sie heraus: »Warum werde ich jetzt nicht mehr Herzogin von Aquitanien, wo Aigret geboren ist? «
    Er war überrascht und bestürzt zugleich. Offensichtlich hatte sich niemand die Mühe gemacht, es dem Mädchen zu erklären, und niemand war auf die Idee gekommen, es könnte ihr etwas ausmachen - eine Annahme, die er geteilt hatte. »Kleines«, sagte er behutsam, »du hast jetzt einen Bruder.« Sie schüttelte den Kopf, und ihre roten Locken flogen. »Aber als Petronille geboren wurde, hat es doch auch nichts geändert!«
    Jetzt hatte sie etwas geschafft, was seit Ewigkeiten niemandem mehr gelungen war: Guillaume IX in Verlegenheit zu bringen. Er war noch nie vor der Notwendigkeit gestanden, eine Tatsache erläutern zu müssen, die für ihn völlig selbstverständlich war. »Petronille ist ein Mädchen«, sagte er endlich langsam, »und Aigret ein Junge.
    Jungen haben immer und in allen Dingen den Vorrang vor Mädchen.«
    »Aber das ist ungerecht«, sagte Alienor hitzig, »ungerecht! Aigret ist doch nur ein dummes Balg, das ständig plärrt, Maman ist seit seiner Geburt so krank und…« Ihre Unterlippe zitterte. Ihr Großvater sah sie an, als sei sie eine Fremde. Sechs Jahre, dachte er. Unglaublich. Andererseits, wer spürte Eifersucht schon so heftig und erbittert wie ein Kind?
    »Alienor«, sagte er und faßte mit seiner Hand unter ihr Kinn. »Aigret bekommt Aquitanien, aber ich kann dir versprechen, daß ich für dich den edelsten und mächtigsten Gemahl suche, den es auf der Er-de gibt.« Das Mädchen ballte seine Hände zu kleinen Fäusten. »Ich will keinen Gemahl«, antwortete sie störrisch, »ich will überhaupt nicht heiraten, ich will Aquitanien, und ich will niemals hier weggehen!«
    Ihr Großvater zog die Brauen hoch. »Wenn du dich nicht beizeiten daran gewöhnst, nicht alles zu bekommen, was du willst«, sagte er verschmitzt, »wird dich in deinem Leben noch sehr viel Ärger erwarten. Außerdem würde ich an deiner Stelle einen Gemahl nicht so schnell ablehnen. Männer haben ihre Annehmlichkeiten.«
    Sie reckte das Kinn. »Welche?«
    Der Herzog mußte ein Grinsen unterdrücken. »Wenn ich dir das sage, werden mir deine Eltern das niemals verzeihen. « Er fuhr mit einer Hand durch ihr Haar. »Immerhin, ich dachte, du wolltest eine Jagd sehen - sollten wir jetzt nicht die Falken steigen lassen?«

    An diesem Abend beobachtete er vergnügt, wie sich das wilde Wesen vom Vormittag in einen anmutigen kleinen Engel verwandelte, während sie mit ihrem jungen Halbonkel tanzte. »Aber nur einen Tanz«, mahnte Aenor, »Raymond möchte schließlich auch mit Mädchen in seinem Alter tanzen.«
    »Die werden warten«, entgegnete Raymond sorglos und mit einem Augenzwinkern. Der Herzog sah ihnen zu, wie sie die schwierigen Figuren abschritten, und staunte über die Sicherheit, mit der Alienor sich bewegte. Wer würde glauben, dachte er und lachte wieder in sich hinein, daß ihm diese kleine Hexe heute morgen ganz ohne Umschweife und vehement das abgefordert hatte, was er seit seinem sechzehnten Lebensjahr unangefochten beherrschte - Aquitanien?
    Er selbst fühlte sich heute zu erschöpft, um zu tanzen, auch wenn ihm Dangerosa einen erbosten
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