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Die Löwin von Aquitanien

Die Löwin von Aquitanien

Titel: Die Löwin von Aquitanien
Autoren: Tanja Kinkel
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Vater diesmal ohne einen lauten Streit abgegangen war.

    Das Palais l’Ombrière, in dem Alienor aufwuchs, war nicht so groß wie der herzogliche Palast in Poitiers, doch es war weitläufig genug für sie, um immer wieder ihrer Amme entwischen zu können.

    Sie liebte Raymond. Er rannte mit ihr durch die Gänge des Schlosses, spielte mit ihr Verstecken, erzählte ihr Geschichten von Rittern, Drachen und Feen und nahm sie manchmal auch in die riesige Küche mit, um ein wenig Essen zu stehlen. Als sie fünf Jahre alt wurde, brachte er ihr heimlich das Reiten bei. Natürlich fiel sie zu-nächst herunter und begann zu schreien - es waren weniger Schmerzens- als Zornestränen , doch sie verlangte sofort, wieder auf das Pferd gesetzt zu werden, und Raymond war beeindruckt. »Du kannst ein echter Reiter werden, Alienor«, sagte er an diesem Tag, als sie sich beide wieder zurück in die Frauengemächer stahlen, die Alienor eigentlich noch gar nicht verlassen durfte, »aber hör um Himmels willen auf, jedesmal zu schreien, wenn du deinen Willen nicht bekommst!«
    Der innige Wunsch, nicht die Achtung - und die Aufmerksamkeit
    - ihres Helden zu verlieren, bewirkte, daß Alienor tatsächlich versuchte, sich in Raymonds Gegenwart zusammenzunehmen, und daß ein einziges »Miau, Mädchen« genügte, um sie wieder in die Schranken zu weisen.
    Etwas anderes war es jedoch, wenn ihre Mutter oder ihre Amme versuchten, ihr das Spinnen und Sticken beizubringen. »Jede Edelfrau muß spinnen können«, sagte Aenor und starrte verzweifelt auf ihre Tochter herab, die die Spindel auf den Boden geworfen hatte und trotzig mit dem Fuß aufstampfte. »Ich will nicht!« Selbstverständlich wußte sie, daß es von einem kleinen Mädchen zuviel verlangt war, stundenlang Flachs in der Hand zu halten, aber ein kleiner Anfang zumindest, das Bestreben, es zu versuchen…
    Nicht, daß Alienor nie geduldig sein konnte. Zur Verwunderung ihrer Familie, ihrer Erzieherin und aller, die sie kannten, war sie in der Lage, stundenlang ruhig der Musik der Spielleute und den Gesängen der Troubadoure zuzuhören. Guillaume hatte zwar nicht die schöpferische Erfindungskraft seines Vaters, des Herzogs, doch auch er liebte die Dichtung, und zwei der Troubadoure an seinem Hof, Cercamon und Blédhri der Waliser, waren im ganzen Land berühmt.
    Raymond neckte Alienor damit, daß sie Blédhris Lieder doch gar nicht verstehen könne, und zu seiner Verblüffung wiederholte das aufgebrachte Kind Blédhris letztes Lied fast fehlerlos.
    Anläßlich des Osterfestes des nächsten Jahres durfte Alienor ihre Eltern zum ersten Mal an den Hof ihres Großvaters begleiten. Die Reise wurde für sie eine Offenbarung. In allen Städten und Dörfern, durch die sie, auf das Pferd ihres Vaters gesetzt, zog (leider hatte sie Raymond versprechen müssen, nichts von seinem Reitunterricht zu erzählen), jubelten die Menschen ihr zu, und sie winkte hingerissen zurück. Man hatte ihr schon vorher mehrmals gesagt, daß sie die Erbin von Aquitanien war, doch noch nie zuvor hatte sie erkannt, was das wirklich bedeutete. Und das Land, das sie durchquerten, erschien ihr wie das Paradies.
    Sie war immer enttäuscht, wenn ihr Vater sie wieder in die Sänfte plazierte, in der ihre Mutter reiste. Aenor war durch die lange Reise und das monotone Rütteln schläfrig geworden und schrak erst auf, als sie die begeisterte Stimme ihrer Tochter rufen hörte: »O Maman, es ist so wunderschön!« Da erst bemerkte sie, daß Alienor die Sänftenvorhänge aufgezogen hatte und mehr als ein Soldat aus ihrer Eskorte einen grinsenden Blick hineinwarf. Aenor richtete sich hastig auf, schloß die Vorhänge wieder und tadelte vorwurfsvoll: »Du bist ein böses Mädchen, Alienor, das darfst du nicht!«
    »Aber warum nicht, Maman?«
    Aenor seufzte, und ihre Gedanken schweiften ab, nach Poitiers, an den Hof, der sie dort erwartete. »Alienor«, sagte sie schließlich,
    »wenn wir in Poitiers sind, wirst du dort auch deiner Großmutter begegnen.« Alienor, die unzufrieden hin- und hergerutscht war, wurde aufmerksam. Sie hatte durch das Geschwätz von Aenors Damen schon viel von ihrer Großmutter gehört, der berüchtigten Dangerosa, die die schönste Frau der Welt sein sollte und ihren Großvater, den Herzog, behext hatte.
    »Gott möge mir verzeihen«, sagte Aenor mit der leichten Trauer, die Alienor unbewußt immer mit der sanften, wehmütigen Frau verband, die sie zur Welt gebracht hatte, »daß ich so etwas sage, denn sie
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