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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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wusste aber auch, dass Cale, wenn es um Arbell ging, keine Vernunft mehr kannte. Vor ihrem Lebensretter bewahrte Riba eine heilige Furcht, denn er war kurz angebunden und beachtete sie gewöhnlich kaum, wenn er ihr bei ihren täglichen Verrichtungen begegnete. Über viele Monate hatte sie die Überzeugung gewonnen, dass er für Arbell alles tun würde.
    »Tu das nicht, Thomas«, sagte sie ernst wie eine Mutter. Schockiert warf Arbell ihrer Dienerin, die ihr zu widersprechen wagte, einen zornigen Blick zu. Da aber auch viele andere gegen sie gesprochen hatten, konnte sie ihr nicht einfach den Mund verbieten. Doch das spielte keine Rolle. Cale ignorierte alles.
    Er sah, wie die Materazzi-Armee dort unten in Auflösung geriet. Er schaute Vague Henri und Kleist an. »Gebt mir Deckung, so gut ihr könnt, aber setzt euch noch rechtzeitig ab.«
    »Das hatte ich vor«, beteuerte Kleist.
    Cale lachte. »Denkt dran, wenn mich einer von euch trifft, weiß ich, wer es gewesen ist.«
    »Nicht wenn ich der Schütze bin, dann ist Feierabend für dich.«
    »Geht mit ihren Wachen zurück nach Memphis. Ich komme nach, sobald ich kann.«
    Sie liefen zu den Zelten, ihre Ausrüstung holen. Cale nahm IdrisPukke beiseite. »Falls hier alles schiefgeht, setzt Euch nach Treetops ab.«
    »Du willst doch nicht da hinuntergehen, Junge«, sagte IdrisPukke.
    »Doch.«
    Vague Henri und Kleist kehrten zurück und machten sich mit ruhiger Hand bereit. IdrisPukke hieß einen von Arbells Reitknechten, sein Obergewand abzustreifen, ein langes Hemd mit dem offiziellen Wappen, blaue und goldene Drachen und dem Wahlspruch der Materazzi-Familie: »Eher tot als wankend«. IdrisPukke reichte es Cale. »Wenn du so, wie du jetzt angezogen bist, da runter gehst, wird jeder versuchen, dir eins auszuwischen. Mit diesem Hemd hier bist du wenigstens vor den Materazzi sicher.«
    »Und wenn du gefangen wirst«, fügte Arbell hinzu, »werden sie begreifen, dass du ein hohes Lösegeld wert bist.«
    Als Kleist das hörte, kicherte er los, als wäre das der beste Witz, den er je gehört hatte.
    »Lass sie in Ruhe«, sagte Cale.
    »Du solltest dich mehr um dich kümmern, mein Lieber. Ihr passiert schon nichts, keine Sorge.«
    Cale lief zum Rand der Anhöhe und rutschte den steilen Abhang hinunter. Nach dreißig Sekunden war er auf dem Schlachtfeld. Vor ihm befand sich die zweite Kolonne schon im Anmarsch auf das Desaster des ersten Angriffs – weitere achttausend Mann, die sich auf einem Feld drängten, das für halb so viele schon zu klein war. Die Erlöser griffen über die Flanken an und blockierten die Neuankommenden – für sie waren die frischen Materazzi-Soldaten in ihrer starren Formation nur weitere Opfer, die sie in aller Ruhe abschlachten konnten.
    Hier und da war die vorwärtsrückende Schlachtreihe aufgebrochen, und um die Haufen erschlagener Soldaten wogte das Getümmel wie das anbrandende Meer um Felsen. Cale bewegte sich jetzt im Laufschritt hinter der Materazzi-Armee. Anders als von Silbury Hill aus hatte er hier unten keinen Überblick mehr über das Geschehen. Nur die Aussicht vom Hügel hatte ihn darüber belehrt, dass an der Front und an den Flanken ein Gemetzel stattfand. Hier hinten hörte man nicht einmal den Schlachtenlärm, man sah nur einzelne Gruppen von Soldaten, die vordrängten, sobald sie eine Lücke entdeckten, weil sie glaubten, dass ihre Kameraden vorn eine Bresche in die Front der Feinde geschlagen hätten. Und so waren Tausende Männer auf dem Weg in einen fürchterlichen Tod.
    Unterdessen suchte Cale weiter nach Simon, und das war tatsächlich so hoffnungslos, wie Kleist es ausgedrückt hatte. Als er noch oben auf dem Silbury Hill stand, hatte er sich etwas vorgemacht, jetzt war er der Verzweiflung nahe. Entweder würde er hier unten sterben oder in Arbells Augen als Versager zurückkehren. Selbst wenn sie ihm glaubte, dass für ihren Bruder nichts zu machen gewesen war, wollte er nicht, dass sie sich dazu durchrang. Er ertrug den Gedanken nicht, auf ihre anbetende Liebe zu verzichten.
    Plötzlich tauchten ein bis zwei Dutzend Erlöser auf. Jeweils zu dritt griffen sie die Materazzi an, die einen Weg in die vorderste Linie suchten. Einer hatte eine lange Sense und zog einem Soldaten damit die Beine weg, ein zweiter schlug mit dem Hammer zu, der vorher dazu gedient hatte, die Palisaden in den Boden zu treiben, ein dritter schließlich stach mit dem Schwert durch Helmschlitze oder unter den Arm. Kaum lagen die Nachzügler am Boden,
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