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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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Cale wusste, dass er eigentlich nach Trinkwasser suchen sollte, doch er fühlte sich noch zu erschöpft und blieb zehn Minuten starr und wie in Trance sitzen. Dann begann Conn zu stöhnen und unruhig zu werden. Er wachte auf und sah, wie Cale ihn anstarrte. Vor Schreck und Verwirrung schrie er auf.
    »Ruhig, ruhig, alles in Ordnung.«
    Mit schreckgeweiteten Augen versuchte Conn, sich aus Cales Nähe zu schleppen, schrie aber erneut auf, diesmal vor Schmerz. »Ich würde mich lieber nicht bewegen«, sagte Cale. »Dein Oberschenkelknochen ist gebrochen.« Für die nächsten Minuten sagte Conn gar nichts, bis der Schmerz im Bein allmählich verebbte.
    »Was ist denn passiert?«, fragte er schließlich. Cale sagte es ihm. Als er mit seiner Erzählung fertig war, blieb Conn eine ganze Weile stumm. »Kaum zu glauben«, brachte er am Ende hervor, »aber ich habe nicht einen einzigen gesehen – nicht einen Erlösermönch, meine ich. Gibt es hier Wasser?« Conns Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, sein erbärmlicher Zustand erregten bei Cale gleichermaßen Mitleid und Verärgerung.
    »Ich habe Rauch gesehen, ehe wir hier in den Wald gegangen sind. Ich habe gestern von einem Dorf gehört, das in der Nähe von Silbury Hill liegen soll. Ich komme so rasch wie möglich wieder.« Damit wandte er sich dem Pferd zu, nahm ihm die Panzerung ab und schnitt die aus Kettenringen gewirkte Decke auf Rücken und Flanken fort. Dann stieg er auf und tätschelte den Kopf des Tieres.
    »Danke«, flüsterte er dem Pferd zu und ritt davon.

FÜNFUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    B innen drei Stunden wurde Conn Materazzi von einem in der Gegend ansässigen Bauern mitgenommen und in ein ordentliches Bett verfrachtet. Danach wurde sein gebrochenes Bein mit vier Haselnussstöcken und acht Lederriemen erneut geschient. Während der anderthalbstündigen Operation, in der Cale das gebrochene Bein wieder einigermaßen geraderichtete, hatte Conn abermals das Bewusstsein verloren. Sein Gesicht war so totenbleich, dass man sich fragte, ob es jemals wieder Farbe bekommen würde.
    »Schert ihm den Kopf«, sagte Cale zu dem Bauern, »und vergrabt seine Rüstung im Wald für den Fall, dass die Erlöser hier aufkreuzen. Sagt ihnen, er sei ein Tagelöhner. Wenn ich es bis nach Memphis schaffe, schicke ich Hilfe. Man wird Euch gut bezahlen. Wenn nicht, dann wird er Euch selbst zahlen, sobald er wieder auf den Beinen ist.«
    Der Bauer sah Cale an. »Behaltet Euren Rat und Euer Geld.« Und damit ließ er die beiden allein. Kurze Zeit später wachte Conn auf. Die beiden sahen sich eine Weile wortlos an.
    »Ich erinnere mich jetzt«, sagte Conn. »Ich habe dich um Hilfe gebeten.«
    »Ja.«
    »Wo sind wir hier?«
    »Auf einem Bauernhof, zwei Stunden vom Schlachtfeld.«
    »Mein Bein schmerzt.«
    »Es muss sechs Wochen so geschient bleiben. Ob es wieder gerade zusammenwächst, ist nicht sicher.«
    »Warum hast du mich gerettet?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich hätte das Gleiche nicht für dich getan.«
    Cale zuckte die Schultern. »Man weiß vorher nie, wie man sich in solch einer Lage verhält. Ich habe es nun einmal getan und damit gut.«
    Dann schwiegen sie wieder.
    »Was wirst du jetzt tun?«, fragte Conn.
    »Ich reite morgen früh nach Memphis. Wenn ich es bis dorthin schaffe, schicke ich Hilfe.«
    »Und dann?«
    »Dann gehe ich mit meinen Freunden in ein Land, wo die Soldaten nicht so dumm und ehrbesessen sind. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass man bei solcher Überlegenheit die Schlacht verlieren kann. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.«
    »Wir werden den gleichen Fehler nicht noch einmal machen.«
    »Wie kannst du glauben, dass ihr eine zweite Chance erhaltet? Princeps wird sich in Silbury nicht im Spiegel bewundern und die Zeit vertrödeln. Seine Männer werden euch bis vor die Tore von Memphis scheuchen.«
    »Wir sammeln uns und treten ihnen entgegen.«
    »Mit welchen Truppen? Drei Viertel der Materazzi sind tot.«
    Conn wusste darauf nichts zu erwidern, er legte sich erschöpft zurück und schloss die Augen.
    »Am liebsten wäre ich tot«, sagte er schließlich.
    Cale lachte. »Du musst wissen, was du willst – heute Morgen klang das noch anders.«
    Conn sah noch niedergeschlagener aus.
    »Ich bin nicht undankbar«, murmelte er.
    »Nicht undankbar«, sagte Cale. »Heißt das dann, du bist dankbar?«
    »Ja, ich bin dankbar.« Conn schloss wieder die Augen. »Meine Freunde, meine Verwandten, mein Vater,
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