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Die Liebesluege

Titel: Die Liebesluege
Autoren: Sissi Flegel
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Freundin, die neben dem Schreibtisch stand. »Bis du mal zu Besuch kommst, ist doch alles wieder verstaubt.«
    Elena runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
    »Lass das.« Hanna riss ihr das Tuch aus der Hand. »Mensch, freu dich! Endlich bist du deine Familie los und darfst ins gelobte Land reisen. Du freust dich doch, oder?«
    Elena hob die Schultern. »Weiß nicht.«
    »Du bist mir eine«, schimpfte Hanna. »Wenn meine Eltern so viel Geld hätten, dass ich eins der besten Internate besuchen könnte, würde ich ausflippen. Aber was ist mit dir? Du machst ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter und tust so, als würdest du in die Verbannung geschickt! Mensch, Elena, auf dich wartet die glamouröse Welt eines Upper Class Internats!«
    Elena ließ sich aufs Bett sinken und biss in den Knöchel ihres rechten Zeigefingers. Das machte sie immer, wenn sie sich unsicher fühlte.

    »Lass das«, fuhr Hanna sie wieder an. »Das werden sie dir bestimmt abgewöhnen«, meinte sie dann in versöhnlicherem Ton, »also lass es lieber gleich bleiben. Und noch etwas, Elena. Ich kapier nicht, weshalb du dir nicht einen schicken Haarschnitt geleistet hast. Ich finde, wenn jetzt das neue Leben für dich beginnt, hättest du damit ein Zeichen setzen können.«
    »Wie meinst du das?«
    »Na, ein neuer Haarschnitt wäre doch ein Symbol gewesen: die neue Elena ist bereit für ihr neues Leben - so was in der Art.«
    Hanna griff in Elenas dunkelbraune, absolut glatte Haarsträhnen. »Du machst einfach nichts aus dir. Warum das so ist, weiß ich ja, aber es ist schade. Kein Wunder, dass du bis heute noch keinen … aber was nicht ist, kann ja noch werden - bald lernst du ja neue Leute kennen«, setzte sie hastig hinzu.
    Langsam stand Elena auf, hob den Arm - und fegte mit einer einzigen Bewegung die gerade abgestaubten und ordentlich arrangierten Nippes vom Brett. »Ich will nicht weg! Ich wollte nie weg von hier! Ich hasse alles Neue!«, brach es aus ihr heraus.
    »Spinnst du? Was soll das denn jetzt!« Hanna starrte sie ungläubig an und bückte sich dann, um die am Boden liegenden Gegenstände aufzuheben.
    Da wurde die Tür aufgerissen. »Abfahrt in fünf Minuten!«, bellte Elenas Vater. Mit einem ärgerlichen Blick, den Elena wie eine Ohrfeige empfand, musterte er seine Tochter und das Chaos am Boden. »Gut, dass du dich endlich von dem nutzlosen Krempel trennst«, schnaubte er. »Los, mach schon. Komm runter. Hanna wird dir mit dem Gepäck behilflich sein.«

    Wie zwei begossene Pudel schleppten Elena und Hanna die Koffer und Taschen ins Erdgeschoss. »Ich versteh dich wirklich nicht«, flüsterte ihr Hanna an der Tür zu. »Warum willst du nicht weg, wo dich doch deine Eltern so schnell wie möglich loswerden wollen?!« Elena zuckte nur mit den Schultern.
    Während Elenas Vater die Gepäckstücke im Kofferraum verstaute, umarmten sich die Mädchen ein letztes Mal. »Mail mir«, flüsterte Elena. »Ich will wissen, was sich hier tut.«
    »Falls sich etwas tut«, entgegnete Hanna leise. »Klar, mach ich. Nütz die Chance, stopf die Vergangenheit in einen großen Sack, versenke ihn im Genfer See und fang endlich ein neues Leben an. Vielleicht besuche ich dich mal!«
    Elena hob die Schultern, als wäre ihr kalt. »Sag denen in unserer Klasse -«
    »Wird’s bald? Hast du dich von deiner Mutter verabschiedet oder musst du das auch noch erledigen?« Herr Gerber ließ sich auf den Fahrersitz fallen und knallte die Autotür zu.
    Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern setzte sich Elena auf den Rücksitz. Sie drehte sich um und sah, wie der Vorhang am Küchenfenster beiseitegeschoben wurde, aber niemand winkte. Ihr Vater gab Gas und schoss mit überhöhter Geschwindigkeit den Philosophenweg herunter. Elena blickte ein letztes Mal auf den Fluss, die Brücke, die vielen Studenten, die sich lachend, sich unterhaltend, gemächlich oder hastig durch die Straßen schoben, auf die Silhouette der Altstadt mit dem alles überragenden Schloss und dann, wenige Minuten danach, aufs Ortsschild Heidelberg .
    Heidelberg - das war ihre Geburtsstadt, ihre Heimatstadt,
die Stadt, die sie liebte, geliebt hatte - und jetzt einfach nur von Herzen hasste. Nicht die Stadt hatte ihr Böses getan, aber die Erinnerung an das, was in diesem Ort geschehen war, hing ihr wie ein zentnerschwerer Mühlstein um den Hals.
    Ihr Vater ordnete sich links ein und lenkte den silbergrauen Daimler auf die Autobahn. Natürlich benutzte er nur die linke Spur; wenn ihm der Vordermann
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