Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Liebesluege

Titel: Die Liebesluege
Autoren: Sissi Flegel
Vom Netzwerk:
ihren Augen, und ich fragte mich, warum sie die Meinung der Rosianer nicht teilt.
    Nach dem Tag auf der Piste, den ich bereits schilderte, sagte sie am Abend: Das war kein übler Warteschleifentag, meinst du nicht auch?
    Dieser Satz - entschuldigen Sie die saloppe Ausdrucksweise - haute mich um. Warum?

    Der Tag auf der Piste war schön gewesen. Beste Schneeverhältnisse, wolkenloser Himmel, gutes Essen, nette Kumpels, angenehme Lehrer, keine Zeit für Gedanken an Unerfreuliches wie etwa Klassenarbeiten. Es war ein so perfekter Tag gewesen, dass er selbst in der Nach-Villa-Rosa-Zeit nicht perfekter sein könnte.
    Ich überlegte: War der Tag wie eine süße Rosine, die ein freundliches Wesen auf die Warteschleifenstrecke gelegt hatte? Ich passte auf und sah plötzlich hier noch eine Rosine, dort zwei, manchmal sah ich keine, dann wieder einige … Ich sah: Es ist ja wie im RICHTIGEN Leben, wo es auch nicht nur tolle Tage gibt. Dazu kommt, dass auch, wie man hört, Erwachsene unter Einschränkungen leiden sollen.«
    Max wartete, bis das Murmeln verstummt war.
    »Dennoch: Uns wird eine Schonfrist vom richtigen, vom manchmal sogar brutalen Leben gestattet, und in diesem Sinn hat das Wort ›Warteschleife‹ seine Berechtigung.
    Es gibt aber noch ein weiteres großes Plus, das für Villa Rosa spricht. Villa Rosa will uns nicht das Elternhaus, will uns nicht unsere Eltern ersetzen, dennoch geben unsere Lehrer uns den nötigen Rückhalt, um uns von ihnen abzunabeln. Die räumliche Distanz ermöglicht die emotionale Distanz, und die wiederum schafft uns den Freiraum, uns über die großen Fragen des Lebens Gedanken zu machen: Was kann ich? Was soll ich? Und schließlich: Wer bin ich?
    Ich frage Sie: Ist es mit dem Rückhalt eines Freundes, einer Freundin nicht leichter, sich den Fragen des Lebens zu stellen - im Sinne von: If you don’t run, you lose ?«
    Elena hing an Max’ Lippen. Wie konnte das sein, dachte sie ein ums andere Mal, dass Max, ausgerechnet Max, sie liebte? Ein Junge wie er …Was sah er denn in ihr? Sie war
so in ihren Gedanken versunken, dass sie nichts und niemand um sich herum wahrnahm; nicht das bewundernde Flüstern der Mädchen und schon gar keine Bewegung. Was zählte, war Max.
    »Liebe Zuhörer!
    Sie haben gehört, dass wir uns nicht mit dem eingeschränkten ›Lernen für später mal‹ zufriedengeben, und wenn uns auch noch die Liebe Flügel verleiht, beim Lernen, im Sport, im Internatsalltag, dann LEBEN wir schon jetzt und hier in Villa Rosa!«
    Er schob die Blätter seines Manuskripts zusammen, was allen zeigte, dass es dem Ende zuging. »Wir Rosianer -«
    »Feuer!«, gellte Annis Stimme aus dem Werkraum. »Feuer! Feuer!«
    Mit einem Satz sprang Max vom Podium, und bevor sich die erstaunten Zuhörer von den Sitzen erhoben hatten, hatte er die Halle durchquert. Am letzten Tisch im Werkraum schraubte sich ein dünner grauer Faden in die Luft … jetzt war Max am Tisch, warf Herrn Appenzell, der so reaktionsschnell war wie er, den Feuervogel zu, und - starrte auf einen glimmenden Kieferzapfen.
    »Ich hab sie gesehen!«, kreischte Anni. »Ich hab gesehen, wie sie herumgeschlichen ist! Ich hab das Feuerzeug klicken gehört! Dann ist sie wieder in die Halle! Haltet sie! Haltet sie auf!«
    Anni war außer sich.
    »Ist doch nichts passiert. Gestern hat es den ganzen Tag geregnet, der Zapfen war nass und brannte nicht«, beruhigte sie Herr Appenzell und rief nach vorn: »Fehlalarm, Professor Mori! Es ist nichts, machen Sie weiter!«
    »Aber ich hab doch mit dem Handy ein Foto von ihr gemacht!«, protestierte Anni. »Die Frau ist in der Halle!«

    Elena war längst an Max’ Seite; jetzt beugten sich beide über Annis Handy. »Ich hab’s gleich geahnt!«
    Gerade eben war sie so stolz auf Max gewesen, sie hatte sich auch so sehr über den Feuervogel gefreut, der den Besuchern offensichtlich gefiel - jetzt fühlte sie sich, als wäre sie von hoch oben ganz tief abgestürzt. Warum musste ihre Schwester ihr immer alles kaputt machen?
    Sie hörte Professor Moris Stimme, dann das Klatschen der Besucher, und schließlich sang der Chor. Das Ende der Feier war gekommen.
    »Elena!« Plötzlich stand Charly neben ihr. »Wir haben deine Schwester gestellt. Professor Mori ist mit ihr ins Haus gegangen. Du sollst ins Rektorat kommen. Soll ich -«
    Max schüttelte den Kopf. »Kümmere dich um deine Eltern, Charly. Ich begleite Elena.«
    Obwohl Max ständig von begeisterten Mädchen aufgehalten wurde und sich viele
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher