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Die Liebesluege

Titel: Die Liebesluege
Autoren: Sissi Flegel
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Blech seines kostbaren Autos bangte. Als ihm dann tatsächlich ein anderes Fahrzeug entgegenkam und er hätte ausweichen müssen, zwang er durch wütendes Hupen und halsstarriges Halten den andern, rückwärtszufahren.
    Oben schneite es wieder aus dunkelgrauen Wolken, aber über den gegenüberliegenden Bergen leuchtete ein blauer Fleck. Ein einzelner Sonnenstrahl fiel aufs bleifarbene Wasser, und zum ersten Mal, seit sie hinter ihrem Vater im Auto saß, empfand Elena Interesse. Dem Klimawechsel auf so kurzer Entfernung werde ich nachgehen, dachte sie. Vielleicht. Mal sehen.
    Als es dann so weit war, als ihr Vater vor dem Internat hielt und das herrschaftliche Gebäude musterte, drehte er sich nicht zu ihr um und sagte etwas Tröstliches wie: »Hier wird es dir bestimmt gefallen, Elena.« Stattdessen pfiff er kurz durch die Zähne und knurrte: »So was kostet natürlich eine Menge Geld.« Er lud ihr Gepäck vorm Portal aus, sagte: »Ich geh dann mal zur Rezeption«, und ließ sie stehen.
    »Eine Schule ist kein Hotel«, hätte Elena ihm gerne gesagt. »Eine Schule hat keine Rezeption!« Aber was hätte ihr das gebracht? Nichts. Er hätte geschnaubt und genau das getan, was er gerade tat: Er ließ sie stehen und marschierte mit ausgefahrenen Ellbogen ins Gebäude.
    Am liebsten hätte sie ihn gepackt und angeschrien. Abertausendmal hatte sie sich vorgestellt, wie sie ihn mal anschreien würde: »Es ist nicht meine Schuld, dass ich auf der Welt bin! Kapier das endlich und schieb mir nicht die alleinige Verantwortung für das in die Schuhe, was mit Stefanie passiert ist!« Verdammt, warum konnte sie ihrem Vater die
banale Tatsache nicht ins Gesicht schleudern, dass er und ihre Mutter für ihr Dasein und Anderssein als ihre Schwester verantwortlich waren? Warum nur?
    Mit hängenden Schultern stand Elena neben ihrem Gepäck und schrak zusammen, als sich ihr Vater umdrehte und von der obersten Stufe der breiten Freitreppe herunterschrie: »Was ist? Was stehst du herum? Komm endlich!«
    »Ich denke, du willst alleine …«, stammelte Elena.
    »Du gehst hier zur Schule, nicht ich!«
    O Gott! Elena ballte die Fäuste und stolperte mehr, als sie ging, die Stufen hinauf. Trampel , stöhnte sie in sich hinein, Trampel, Trampel … Sie stieß gegen den linken Ellbogen ihres Vaters, als der in der Halle stehen blieb. »Trampel!«, zischte auch er. »So pass doch auf!«
    Elena stiegen die Tränen in die Augen. Verschwommen nahm sie die strahlend weiße Halle wahr, den schwarzweiß gefliesten Fußboden, die hohen Spiegel in ihren goldenen Rahmen. »Feudal«, sagte ihr Vater knapp. »Wo ist die Rezeption?« Er wandte sich nach rechts, blieb vor einer Tür stehen, las laut: Sekretariat , ging weiter und klopfte energisch an eine zweite mit dem Schildchen: »Professor Mori, Rektorat.«
    »Nimm dich zusammen«, fauchte er noch, dann stand eine Dame im Türrahmen und sah ihn fragend an.
    »Gerber«, sagte er. »Ich bringe Ihnen meine Tochter.«
    Elena wand sich vor Verlegenheit. Bin ich etwa ein Gepäckstück?, fragte sie sich und sah zu Boden.
    »Guten Tag, Herr Gerber«, sagte die Dame gelassen. »Ich bin Benita Mori, die Leiterin des Internats. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Und das ist Ihre Tochter?« Sie reichte zuerst Elenas Vater, dann Elena die Hand. »Du bist Elena? Willkommen in Villa Rosa.«

    Mit einer Handbewegung bat sie beide in den Raum und wies auf die Sitzgruppe vor dem hohen Fenster. »Bitte nehmen Sie doch Platz.«
    »Ich hab nicht viel Zeit«, knurrte Elenas Vater und ließ sich in einen der Ledersessel fallen. »Das Geschäftliche ist meines Wissens geregelt; fürs Private sind Sie zuständig.«
    »So ist es«, entgegnete Professor Mori ungerührt. Sie wartete, bis eine Frau in ihrem Alter, Elena schätzte beide auf Mitte Fünfzig, drei Tassen, ein Milchkännchen, eine Zuckerdose und eine Kanne auf den runden Tisch gestellt hatte. »Für eine Tasse Kaffee wird es doch sicher reichen.«
    Elenas Vater saß breitbeinig auf der Sesselkante, ließ drei Würfel Zucker in den Kaffee fallen, rührte um und beließ das Löffelchen in der Tasse. Warum benimmt er sich so miserabel?, fragte sich Elena und fühlte, wie ihr wieder die Röte ins Gesicht stieg.
    »Hatten Sie eine gute Reise?«, erkundigte sich Madame Mori höflich.
    »Ging so. Elenas Zeugnisse, überhaupt alle Unterlagen haben Sie bereits. Fehlt etwas?« Er hielt das Löffelchen mit dem Zeigefinger vom Mund fern, während er geräuschvoll den Kaffee
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