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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie
Autoren: Andrew Nicoll
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ankündigten, verließ Agathe ihren Schreibtisch und betrat das leere Arbeitszimmer des Bürgermeisters. Sie schlang sich ein Tuch um den Kopf, stellte sich vor das Wappen an der Wand und murmelte hastig ein Gebet. «Gütige Walpurnia, du hast dich hingegeben und von den Hunnen verschlingen lassen, um die Frauen von Dot zu retten. Nun ja, ich bin eine Frau von Dot, und heute Abend wünsche ich mir einen Hunnen zum Mann. Einen Hunnen! Es wird für die Frauen von Dot nicht weiter wichtig sein, aber vielleicht rettet es einen Mann. Hilf mir. Bitte.» Sie schloss mit einem höflichen, tiefen Knicks, der ihre hübschen Knie entblößte, und eilte hinaus.
    In ihren Sandaletten klackerte Agathe die Marmortreppe des Rathauses hinunter, über die Weiße Brücke und ins Kaufhaus Braun, wo sie eine ganze Portemonnaiefüllung Geldscheine für mehrere, fast unsichtbare Wäschestücke verprasste. «Wahnsinnig teuer», keuchte sie, «und dabei kaum zu sehen!»
    Die alte Verkäuferin lächelte. «Weil Feen den Stoff gewebt haben – aus den kleinen Wattebäuschen, die sie in Vollmondnächten aus den Deckeln von Aspirinfläschchen stehlen. Hans Christian Andersen hat darüber geschrieben, und irgendein Genie hat eigens eine mathematische Formel entwickelt, die erklärt, warum sich der Preis eines Schlüpfers proportional umgekehrt zur Stoffmenge verhält. Möchten Sie die Wäsche kaufen?»
    «Ja, ich kaufe sie.»
    «Sie werden sich den Tod holen. Hören Sie zu, meine Gute, ich gebe Ihnen ohne Aufpreis ein ordentliches, warmes Unterhemd dazu. Ziehen Sie es aber auch an.» Vorsichtig wickelte sie die Wäsche in rosa Seidenpapier ein, streute getrocknete Lavendelblüten hinein und band alles zu einem hübschen Paket zusammen. Das legte sie dann in eine glänzende rote, mit dem goldenen Schriftzug «Kaufhaus Braun» verzierte Schachtel, die sie anschließend mit gelbem Bast verschnürte.
    Als Agathe wieder zur Arbeit erschien, baumelte das Päckchen erwartungsvoll an ihrem kleinen Finger. Den ganzen Nachmittag lag es im Posteingangskorb, und als die Sonne durchs Bürofenster fiel und das Päckchen erwärmte, zog Lavendelduft durch den Raum, der Agathe sehr erregte.
    Sie verbrachte den Rest des Tages damit, von ihrer Büroarbeit zur kleinen, roten Schachtel und von dort zu der Uhr zu schielen, die über der Tür von Bürgermeister Krovics Arbeitszimmer hing. Sie bebte. Ihr war flau im Magen. Und als sie versuchte, einen Termin in den Kalender des Bürgermeisters einzutragen, zitterte ihre Hand so sehr, dass der Stift einen hässlichen Klecks auf das Papier spuckte. Kaffee. Es war Zeit für einen Kaffee. Sie musste jetzt unbedingt einen Kaffee trinken.
    Während der Kaffee in die Glaskanne tröpf-tröpf-tröpfelte, tanzte Agathe neben der Maschine von einem Bein aufs andere und sang «The Boy I Love». Ihre Großmutter hatte ihr das Lied beigebracht, als sie noch ein kleines Mädchen war. Sie hatte es Stopak bei einem ihrer ersten gemeinsamen Spaziergänge vorgesungen. Erst viel später, als Erwachsene, hatte Agathe bemerkt, wie anzüglich der Text war. Es machte sie glücklich, an ihre Großmutter zu denken und an die erstenWochen mit Stopak, die aufregend und voller Anzüglichkeiten gewesen waren. Und es machte sie glücklich, an die kleine, rote Schachtel und künftige Anzüglichkeiten zu denken. In jedem Fall war sie glücklich. Es lag nicht am Lied. Es lag an der Schachtel und an Agathes Hoffnung. Eine kleine Schachtel voller Hoffnung, so wie bei der Pandora, nur dass in Agathes Fall der Inhalt gut war. Er bestand aus Hoffnung und einem Hauch von Anzüglichkeit und konnte getrost in die Welt entlassen werden.
    Die Kaffeemaschine ließ ein letztes Grunzen hören, genau wie Stopak, kurz bevor er sich auf die Seite rollte. Agathe schenkte zwei Tassen ein – eine für sich, eine für den guten Bürgermeister Krovic. Dann, nachdem sie den Untertassenrand mit Ingwerkeksen belegt hatte, stöckelte sie durchs Vorzimmer, an ihrem Schreibtisch vorbei und hinein ins Bürgermeisterzimmer. Als sie gerade die Tür öffnen wollte, hörte sie ihn «The Boy I Love» pfeifen.
    «Das Lied habe ich seit Ewigkeiten nicht gehört», sagte er und nahm eine Tasse entgegen. «Meine Großmutter pflegte es zu singen.»
    «Meine auch», sagte Agathe.
    «Sie hatte es faustdick hinter den Ohren, meine Großmutter.»
    Agathe lachte. «Meine auch. Wissen Sie, sie war ein Piratenkind.»
    «Das kann nicht sein!»
    «Doch, im Ernst. Entweder ein Piratenkind oder eine
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