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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie
Autoren: Andrew Nicoll
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Stopak in Galoschen zur Arbeit, die sie, sobald sie an ihrem Schreibtisch saß, abstreifte und durch ein Paar hochhackiger, zehenfreier Sandaletten ersetzte. Der arme, gute, liebeskranke Bürgermeister Krovic lauschte jeden Morgen auf das Poltern der Galoschen, das Frau Stopaks Ankunft im Büro verriet, und dann warf er sich eilig auf den Teppichboden, um durch den Spalt unter der Tür einen Blick auf ihre drallen, kleinen Zehen zu erhaschen, die sich in die Sandaletten zwängten.
    Und dann seufzte der arme, gute, liebeskranke Tibo, er stand auf, wischte sich die Teppichflusen vom Anzug und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, um den Kopf zwischen die Hände zu stecken und Agathe Stopak zuzuhören, die über den Fliesenboden des Vorzimmers klapp-klapp-klapperte, irgendetwas in den Aktenschrank räumte, Kaffee kochte oder einfach nur weich und duftend und wunderschön und auf der anderen Seite der Tür war.
    Während des Arbeitstages verließ Frau Stopak gelegentlich ihren Schreibtisch, um wie jeder andere Mensch auch einem ganz natürlichen Bedürfnis nachzugehen. Wenn sie zurückkam, war ihre Schminke zu einer perfekten Maske aufgefrischt, und sie zog eine Duftwolke aus Limetten, Zitronen, Bougainvillea, Vanille und anderen exotischen Noten hinter sich her, die der gute Tibo nicht einmal hätte benennen können. Er stellte sich die Ursprungsorte jener Düfte vor – pazifische Inseln, wo sich winzige Wellen leise seufzend auf den rosafarbenen Korallensand werfen,
überweht von Gewürzgerüchen und dem Klingeln der Tempelglöckchen. Er stellte sich vor, wo genau diese Düfte jetzt waren – kleine Wölkchen, die Frau Stopak sich in die weichen Kehlen ihrer fülligen Knie und auf ihre blaugeäderten Handgelenke gespritzt hatte, ein feiner Nebel, der wie Tau auf ihrem milchweißen Dekolleté lag. «Oh Gott» , murmelte Bürgermeister Krovic, «warum hast du einen Mann aus mir gemacht und keinen Parfumtropfen, dem es bestimmt ist, DORT zu vergehen?»

 
    DER GUTE Bürgermeister Krovic war unglücklich, aber Agathe Stopak war es auch. In klammen Winternächten lag sie zitternd in ihrem Bett, hörte den Regen ans Fenster trommeln, sah die Vorhänge im Luftzug wehen und fragte sich, ob sie sich wegen des Windes draußen so wölbten oder weil ihr Mann neben ihr schnarchte. Er lag flach auf dem Rücken ausgestreckt, kerzengerade auf seiner Seite des Betts, so als liege ein Schwert zwischen ihnen, und die Laken spannten sich über seinem riesigen, harten Bauch wie ein Zirkuszelt. Der Wind pfiff durch die Kluft zwischen ihnen, und im Bett war es eiskalt.
    Stopak roch nach Kitt und Kalkfarbe. Da war Farbe unter seinen Fingernägeln und auf dem grauen Unterhemd, das er im Bett trug, er schnarchte wie jene Dampfwalze, die Agathe auf dem Heimweg vom Büro Teer auf der Ampersandallee hatte verteilen sehen.
    Stopak hatte immer schon geschnarcht, aber damals, zu Anfang ihrer Ehe, hatte Agathe das nicht gestört. Damals war das Bett warm, und Stopak legte sich beim Schlafengehen immer auf ihren fülligen, pastellenen Leib, sein Kopf ruhte zwischen ihren großen, elfenbeinweißen Brüsten, und sein Körper bedeckte den ihren wie eine Decke, einen Arm hatte er über ihren Bauch zwischen ihre Beine gesteckt und den anderen angewinkelt unter die Kopfkissen gebohrt. Wenn er besinnungslos schnarchte, lag eine glühende Agathe bei ihm.Sie hatte die Finger in sein Haar gewickelt und flüsterte ihm Zärtlichkeiten zu, während er sich durch die Nacht grunzte.
    Sie versorgte ihn gut. Jeden Abend nach der Arbeit im Bürgermeisterbüro eilte sie mit Tüten voller Köstlichkeiten nach Hause. Das Essen köchelte auf dem Herd vor sich hin, wenn Stopak zur Tür hereinkam und sich an den Küchentisch mit der gelben Gänseblümchendecke setzte. Aber damals hatte Stopak sich niemals hingesetzt, ohne sie angefallen, sie wie ein hungriger Bär gepackt und ordentlich in den Hintern gekniffen, geküsst und ihr ein Tänzchen um den Küchentisch abgenötigt zu haben, bis sie sich mit Gelächter und einem Kartoffelstampfer wehrte und ihn auf den hölzernen Küchenstuhl zwang.
    «Aufhören!», hatte sie dann geschimpft, «du wirst deine Kräfte später noch brauchen.» Und sie gab ihm einen Kuss, der wie ein Versprechen war, und servierte ihm Tournedos Rossini und selbstgemachte Wildpastete, Bratkartoffeln, sahnige Vanillecreme mit hauchzarter Zuckerkruste, Apfelcrumble und den feinsten Käse, und während er aß, berichtete sie von ihrem Tag – wer
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