Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie
Autoren: Andrew Nicoll
Vom Netzwerk:
entführte russische Prinzessin. Niemand wusste es genau. Man fand sie eines Morgens am Strand, wo sie ganz allein herumlief, den Daumen im Mund und eine Samtdecke mit roten und goldenen Streifen im Arm. Ein freundlicher Bauer nahmsie bei sich auf und zog sie groß wie ein leibliches Kind. Aber vermutlich war sie mehr Piratin als Prinzessin. Einem kleinen Mädchen solch ein Lied beizubringen – stellen Sie sich das nur vor!»
    «Den Reinen ist alles rein», sagte Tibo. Er zeigte mit dem Füller auf sie und fragte: «Ist das für mich?»
    Agathe war verwirrt.
    «Die Schachtel vom Kaufhaus Braun. Ein Geschenk für mich?»
    Überrascht und auch ein bisschen beschämt sah Agathe, dass das scharlachrote Päckchen an ihrer linken Hand baumelte. «Das? Oh, das! Das. Nein. Nicht für Sie. Verzeihung, ich habe es in der Mittagspause gekauft. Ich muss es unabsichtlich in die Hand genommen haben. Nein. Nicht für Sie. Verzeihung. Nur für mich. Nun ja, will heißen. Nein.» Agathe schlich zur Tür, aber Tibo rief sie zurück.
    «Ist alles in Ordnung, Frau Stopak? Zu Hause, meine ich. Ich weiß, dass Sie und Stopak   … tja, eine traurige Geschichte. Uns allen hat es schrecklich leidgetan. Wenn Sie einen oder zwei Tage freihaben möchten – das ließe sich einrichten. Ich könnte eine der Sekretärinnen unseres Stadtschreibers herbestellen. Das wäre kein Problem.»
    Agathe setzte ein ernstes Gesicht auf. «Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Bürgermeister, aber, ehrlich gesagt, geht es uns wieder gut. Es war schlimm, aber inzwischen geht es wieder besser. Ehrlich. Viel besser.»
    «Das freut mich», sagte der Bürgermeister. «Hören Sie, ich brauche Sie heute nicht mehr. Warum nehmen Sie sich nicht den Rest des Nachmittags frei?»
    Das machte Agathe überaus glücklich – schließlich hatte sie neue Wäsche gekauft, die sie zu gern anprobieren wollte.Sie bedankte sich und verließ das Büro. Aus seinem Arbeitszimmer hörte sie ihn rufen: «Und danke für den Kaffee!» Der gute Bürgermeister Krovic.
    Als Agathe aus dem Rathaus trat, glitzerte das Sonnenlicht im Brunnen des Rathausplatzes. Sie hängte sich ihren Mantel über den Arm und lief über den knirschenden Kies der Boulevards am Ufer des Ampersand. Sie schlenderte durch Pfützen aus Sonnenlicht, in den dunklen Ulmenschatten und wieder hinaus, ließ ihre Handtasche schwingen und schritt im Rhythmus von «The Boy I Love», weil sie das Lied nun einmal im Kopf hatte. In der Aleksanderstraße ging sie in den kleinen Delikatessenladen, um Brot, Käse und gekochten Schinken zu kaufen, aber sie verließ ihn mit noch viel mehr – mit einem grünen Pappkarton voller Erdbeeren, den ersten der Saison, außerdem einer Flasche Wein, einer Tafel Schokolade und, ganz unten in der Tüte, neben der roten Schachtel vom Kaufhaus Braun, zwei Flaschen Bier. Wenn Sankt Walpurnia mich erhört hat, wird er das zur Stärkung brauchen, dachte sie bei sich.
    Am Fuß der Treppe, die zur kleinen Wohnung der Stopaks hinaufführte, strich ein kleines, schwarzes Kätzchen um die Mülltonnen. Agathe blieb stehen, um das Kätzchen auf den Arm zu nehmen und zu streicheln. «Schwarze Katzen bringen Glück», flüsterte sie, «aber ich habe alles, was ich an Glück brauche, hier in meiner kleinen Schachtel. Deswegen wirst du heute Nacht auf der Straße bleiben müssen.» Damit setzte sie das Kätzchen wieder auf den Boden und machte sich daran, die Treppe hochzusteigen.
    Die Tüte wurde schwerer, und die Henkel schnitten Agathe in die Finger, aber sie bemerkte es kaum. Sie hatte ja die kleine rote Schachtel.
    Agathe schlug die Wohnungstür mit dem Hintern zu und packte die Lebensmittel auf den Küchentisch. Sie nahm ein scharfes Messer und zerschnitt das Brot, richtete Schinken und Käse sorgsam auf einem Teller an und arrangierte alles so, wie es sich gehörte. Die Bierflaschen lagen in ein feuchtes Tuch gewickelt auf dem Fenstersims.
    Sie war zufrieden. «Nichts kann anbrennen, nichts vertrocknen. Es ist angerichtet.» Trotzdem entschied sie, das Öffnen der Weinflasche Stopak zu überlassen. Das wäre seine Aufgabe – eine Männeraufgabe. Dann nahm sie die kleine Schachtel, schloss sich im Badezimmer ein und drehte die Wasserhähne auf.
    Während sie sich entkleidete, hüllte sich der Raum langsam in Dampf. Agathe knöpfte sich das Kleid auf. Im Spiegel über dem Waschbecken tat es ihr eine zweite Agathe gleich. Die Agathe im Badezimmer – unsere Agathe – warf ihr anerkennende Blicke zu. Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher