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Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Titel: Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
Autoren: Anne B. Ragde
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gefielen, und das beruhigte sie: die Art, wie er Luft holte, wenn er sich konzentrieren wollte, erst durch den Mund hinein, dann durch die Nase hinaus. Dass er immer ein Taschentuch aus Stoff bei sich trug, mindestens eine Woche lang dasselbe, obwohl er sich damit nicht nur die Nase putzte, sondern nach dem Essen auch den Mund abwischte. Und dass er nur alle zwei Tage eine frische Unterhose anzog.
    Aber sie zweifelte nicht daran, dass er sie liebte, deshalb schockierte es sie umso mehr, als sie über eine anonyme Hotmail-Adresse erfuhr, dass er sie hinterging. Mit einer gewissen Astrid, mit der er zusammenarbeitete. Vermutlich versteckte diese Astrid sich hinter der Hotmail-Adresse, wer hätte sonst ein Interesse daran haben können, ihr so etwas mitzuteilen?
    Sie wohnten zusammen, in ihrer Wohnung, er hatte fast alle seine Habseligkeiten eingelagert. Zwar hatten sie einen unterschiedlichen Bildungsstand – sie hatte die Journalistenschule besucht, er war Filialleiter der Kioskkette Narvesen und hatte nur den Gesamtschulabschluss –, aber an seinem Intellekt war nichts auszusetzen. Er schrieb fehlerfrei Norwegisch, las gute Bücher, hielt sich politisch auf dem Laufenden, brachte laut, deutlich und fundiert seine Meinungen vor, sie stritten sich fast nie, aßen mehrmals die Woche im Restaurant, sprachen zum Glück nicht über Kinder, jedoch viel darüber, ein Haus zu kaufen, sie schliefen fast jede zweite Nacht und an den Wochenenden bisweilen auch am Tag miteinander, er war vom Aussehen her ein richtiger Bär, drei Monate älter als sie, Mitglied in einem Weinclub, fuhr Gokart und downhill GT -Rad und konnte phantastisch massieren.
    Elf Monate waren eine lange Zeit. Eine sehr lange Zeit. Sie hatten sogar zusammen Weihnachten gefeiert, nur sie beide. Am Heiligen Abend hatten sie Langenfisch gegessen und beide witzigerweise geriebenen braunen Ziegenkäse und Sirup als Beilagen gewählt.
    Thomas hat ein Verhältnis mit einem Mädchen, das Astrid heißt. Nur damit du das weißt. Sie arbeiten zusammen.
    Mädchen? Das klang jung. Das klang mindestens zehn Jahre jünger als sie selbst.
    Am nächsten Tag musste er nach Oslo zu einem wichtigen Fundamentmeeting mit der Reitan-Gruppe. Sie hatten herzlich über diesen albernen Ausdruck gelacht. Nach der E-Mail war ihr klar, dass er ganz bestimmt mit Astrid zu einem romantischen Wochenende fahren wollte, und schon fand sie alles sehr viel weniger komisch. Sie hatte minutenlang vor dem Rechner gesessen und die E-Mail angestarrt.
    Nur damit du das weißt.
    Sie hatten sich um vier im ersten Stock des Credo zum Mittag verabredet, ihr blieben drei Stunden. In diesen drei Stunden musste sie eine Lösung finden. Sie versuchte zu weinen, aber es gelang ihr nicht. Ihre Enttäuschung war größer als ihr Kummer. Was zum Henker bildete er sich eigentlich ein? Sie würde nicht zum Weinen aufs Klo stürzen. Später, ja. Aber nicht jetzt. Sie blieb sitzen und schaute sich in dem Großraumbüro um, meterweise Ordner in den Regalen über dem Computer, Staub, der sich im Chaos der Leitungen unter der Computeranlage sammelte, ihre Tasche, die unter dem Kleiderhaken auf dem Boden stand und aus der ein halb gegessenes und in Zellophan gewickeltes Baguette aufragte. Sie verspürte plötzlich einen heftigen Zorn auf alle Baguetteschmierer, die Jahr für Jahr ungeschoren davonkamen, wenn sie einfach eine knochentrockene Baguettehälfte ohne Margarineschicht auf den Belag knallten. Sie musterte den toten Kaktus auf ihrem Schreibtisch, als ob sie ihn noch nie gesehen hätte. Sie hatte ihn zu Tode gegossen, und jetzt kippte er mit einem Kern aus braunem Schleim über den Topfrand. Mit einem Kugelschreiber bohrte sie darin herum. Sie musste nachdenken, planen, ihren IQ von 132 benutzen, jedes einzelne Hundertzweiunddreißigstel. Sie sprang auf und warf Baguette und Kaktus in den Papierkorb, den Kaktus mit Tontopf und allem. Keine von den Kolleginnen an den anderen Tischen bemerkte etwas, zu sehr waren alle mit ihren Bildschirmen oder Telefonaten beschäftigt.
    Sie löschte die Mail.
    Jetzt hatte sie die Woche.

8
    Sie traf ihn im ersten Stock des Credo , wie verabredet, sie lächelte und redete wie immer, hatte keine Ahnung, was sie aß, wusste aber aus Erfahrung, dass es sehr gut war, sie ging aufs Klo, als er abermals einen Witz über das Fundamentmeeting machen wollte. Jetzt musste sie nur noch eine einzige Nacht mit ihm durchstehen, danach wäre Schluss.
    Am Freitag holte sie sich im Postamt einen
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