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Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst

Titel: Die Liebesangst - Ragde, A: Liebesangst
Autoren: Anne B. Ragde
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geworden war. Er brachte den Altersunterschied aufs Tapet, sicher mache sie deshalb Schluss, sie unterwerfe sich den gesellschaftlichen Konventionen – wenn er diesen Ausdruck auch nicht benutzte. Sie stritt es energisch ab, aber er glaubte ihr nicht.
    »Scheiße, du bist doch total altersfixiert«, schimpfte er. »Was ist denn Alter, zum Teufel? Verdammt …«
    Mehrmals versuchte sie, das Gespräch zu beenden, ohne Erfolg.
    »Du kannst doch jede haben, die du willst«, sagte sie. »Das weißt du genau.«
    Aber er wollte nicht jede, er wollte sie.
    »Du schämst dich für mich«, erklärte er.
    Auf absurde Weise stimmte das, obwohl sie wusste, dass jedes weibliche Wesen in Trondheim, das älter als dreizehn war, sie vor Neid gehasst hätte, wenn sie mit ihm an einem Sommertag Hand in Hand am Flussufer entlangspaziert wäre.
    »Ich habe einen anderen kennengelernt«, sagte sie endlich.
    Da legte er auf.
    Und dann kamen die Briefe. Voller Rechtschreibfehler und Floskeln von der Sorte: Ich kann mit dir nicht leben, aber ohne dich geht es auch nicht. Sie musste beim Lesen die Augen zusammenkneifen und warf die Briefe gleich weg, fast, um ihn vor sich selbst zu schützen.
    Später fing er an, gleichzeitig zu den handgeschriebenen Briefen auch noch E-Mails zu schicken. Er fehlte ihr schrecklich, das musste sie zugeben, und sie ärgerte sich darüber, mit ihm Schluss gemacht zu haben. Es würde unendlich lange dauern, bis sie wieder einen so phantastisch guten Liebhaber fände, aber bei all den Gefühlen, mit denen er sie überschüttete, konnte sie die Trennung unmöglich zurücknehmen. Er würde glauben, dass sie seine Gefühle erwiderte, und so zynisch wollte sie nicht sein. Es wäre die pure Ausbeutung. Aber ungeheuer verlockend.
    Als einige Zeit darauf ein Arbeitskollege von ihm anrief und sagte, er habe Angst, er könne sich etwas antun, nahm sie das Flugzeug nach Stavanger. Er erwartete sie am Flughafen, und im Auto glaubte sie, er werde sie plattdrücken.
    »Ich bin nur gekommen, weil ich Angst um dich habe«, sagte sie. »Weil es dir so schlecht geht. Nicht, weil ich … dass wir …«
    Sie fühlte sich erbärmlich, als sie zwei Tage darauf wieder ins Flugzeug stieg. Aber nun hatte er es begriffen, auch wenn sie eine Lüge nach der anderen hatte auftischen müssen, über diesen neuen Mann, während sie das Bett fast nicht verlassen hatten und der Sex besser gewesen war denn je. Sie konnte keine offene Beziehung zu einem sechzehn Jahre jüngeren Mann haben. Sie liebte ihn auch nicht, jedenfalls nicht, nachdem sie gesehen hatte, auf welche unbegreiflich hoffnungslose Weise er mit seiner eigenen Muttersprache umging. Wurden an der Polizeihochschule denn überhaupt keine sprachlichen Anforderungen gestellt? Mussten sie denn ihre Vernehmungsprotokolle und Fallberichte nicht auf ordentliche und verständliche Weise formulieren?
    Sie stellte sich schlafend, als die Stewardess den Kaffee brachte, sie döste mit der Wange am kalten Fenster. Seine Haut war immer warm, von der guten Durchblutung nach dem vielen Training. Nie wieder würde sie ihn in sich spüren, ihre Knie bis zu seinen Wangen heben, seine Hinterbacken mit den Händen umfassen, spüren, wie seine Gesäßmuskeln auf und ab federten, als wären sie gefüllt mit kräftigen kleinen Tieren, die mit hängender Zunge keuchten. Nie wieder würde sie seinen Schweiß kosten, der von seinen Schläfen auf sie heruntertropfte, und seine unbegreifliche Kraft spüren, von den Fersen bis zu den Handgelenken, konzentriert darauf, sie so viel wie möglich empfinden zu lassen, sein Blick in ihrem.
    »Komm, komm, komm«, hatte er gesagt, »komm zu mir.«
    Sie öffnete die Augen und betrachtete einen Aufkleber von Ventelo, der unter der Tischklappe klebte.
    Eine ältere Frau auf dem Mittelsitz neben ihr verschlang gerade einen Blaubeermuffin und schlürfte zwischen den Bissen Kaffee. Überall lagen Krümel herum. Da die Muffinfrau die Armlehne mit Beschlag belegt hatte, lehnte sie sich wieder an die eiskalte Flugzeugwand und hatte nur noch den Wunsch, bald in Værnes zu landen, damit sie sich in den Audi setzen und bei lauter Musik den ganzen Weg in die Stadt fahren konnte, um allein zu Hause einen Karton Weißwein aufzuschlitzen und lange und bitterlich über vergossene Milch zu weinen.

7
    Ihre längste Beziehung hatte elf Monate gehalten. Sie glaubte wirklich, ihn geliebt zu haben, aber sicher war sie sich nicht. Es gab allerlei Kleinigkeiten an ihm, die ihr überhaupt nicht
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