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Die Liebenden von Sotschi

Die Liebenden von Sotschi

Titel: Die Liebenden von Sotschi
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Menschen. Wir sind uns begegnet, und in sechs Tagen trennen wir uns wieder. Warum sollen wir aus Sotschi eine solche seelische Belastung mitnehmen? Laß uns Freunde sein!«
    »Ich liebe dich.« Bubrow fuhr mit den gespreizten Fingern durch sein blondes Haar. Sie wußte nun bereits, daß er das immer tat, wenn ihn etwas sehr erregte oder auch nur beschäftigte. »Ganz altmodisch, Irina: Ich liebe dich!«
    »Wir haben doch keine Zukunft, Boris!« Sie kam zu ihm auf die breite Backbord-Bank und setzte sich neben ihn. Er legte den Arm um ihre Schulter, zog sie an sich und küßte ihre Schläfe und die Stirn. »Du wirst nie aus Rußland herauskommen, das hast du selbst gesagt.«
    »Es gibt auch einen anderen Weg: Du kommst nach Rußland hinein.«
    »Das eine ist so unmöglich wie das andere.«
    »Ich werde unsere Behörden betrommeln, bis sie weich sind.«
    »Das ist es nicht, Boris. Mein Beruf –«
    »Deine Mikroben werden auch ohne dich virulent bleiben.«
    »Ich – ich habe einen wichtigen Forschungsauftrag«, sagte sie zögernd. »Bitte, keine Einzelheiten! Aber ich kann nicht weg aus Deutschland. Mehr – mehr kann ich dir nicht erklären.« Sie küßte ihn auf die Wange und schlang den Arm um seine Hüfte. »Warum soll Sotschi uns zur Qual werden? Laß uns diese sechs Tage leben wie gute Freunde. Wir werden uns schreiben, und wir werden eine schöne Erinnerung behalten.«
    »Das genügt dir, Irina?« sagte er traurig.
    »Es muß! Die Vernunft, Boris!«
    »Und wenn wir uns in St. Tropez getroffen hätten?«
    »… und du würdest Jean Lebrun heißen und aus Grenoble stammen? Ja, dann wäre vieles leichter.«
    »Also nur, weil ich Russe bin …«
    »Boris, man läßt dich nicht in den Westen! Du bist Teil eines Systems, das von den Menschen völlige Unterordnung verlangt. Das weißt du doch!«
    Er saß stumm neben ihr, streichelte sie, starrte in das sonnendurchleuchtete Meer und mahlte mit den Zähnen. Endlich sagte er:
    »Wir müssen alle Möglichkeiten durchdenken. Irina, ich lasse mir mein Glück nicht stehlen. Ich bin kein Mensch, der mit großen Worten imponieren will. Aber es wird nicht mehr mein Leben sein, wenn ich es ohne dich führen müßte …«
    In dieser Nacht schliefen sie zum erstenmal zusammen.
    Was Gott der Natur an Schönheit schenken konnte – von allem hat er etwas in Sotschi gelassen: Die Palmen, Zypressen, Oleander, Hibisken und Mimosen an dieser Traumküste des Schwarzen Meeres, die Kamelien und Platanen in den blühenden Gärten und Parks, die Rosen, die das ganze Jahr hindurch verschwenderisch duften und leuchten, die Springbrunnen und die allgegenwärtige Musik, die aus den Sommertheatern und von den Freilichtbühnen oder aus dem Riviere-Park herüberweht. Wer Sotschi durchwandert, ist überzeugt, daß unsere Erde von allen Himmelskörpern der schönste ist.
    Boris und Irene saßen in dem riesigen klassizistischen Zirkusbau des Staatstheaters von Sotschi und hörten die Oper ›Ruslan und Ljudmila‹, sie flogen mit dem Hubschrauber nach Krasnaja Poljana in den Westkaukasus und aßen im Jagdhaus ›Schatjor‹ kaukasischen Schachlyk. Sie berauschten sich an dem feurigen roten Wein, fuhren zum 1.000 Meter hohen Rizasee und rasteten im Kurort Gagra in ›Dendrarium‹ und besuchten das Museum ›Bäume der Freundschaft‹, verweilten am Grab des großen Dichters Nikolai Ostrowski, ließen sich vor der riesigen Plastik des mit einem Delphin spielenden Mannes fotografieren, standen etwas bedrückt in dem zu ›Heldenstadt‹ erklärten Noworossisk mit dem Ehrenmal für die Kämpfer der Halbinsel Malaja Sernlja, und wenig später tranken sie den besten Kubawein in der Gaststätte ›Chishina lesnika‹, was soviel heißt wie ›Hütte des Waldhegers‹.
    Sechs Tage Glück. Sechs Tage ein Hauch vom Paradies. Sechs Tage gewolltes Vergessen der Realität. Sechs Tage, nur mit dem Herzen erlebt …
    Als sie vor dem Gatter des Flughafens von Sotschi standen, Irenes Gepäck schon auf dem Band verschwunden und ihr Charterflug Nummer 123 nach Frankfurt aufgerufen war, hielten sie sich an den Händen fest. Sie sahen sich nur an, nahmen das Bild des anderen unauslöschbar in sich auf und sprachen nicht aus, was sie wußten: Das ist der endgültige Abschied.
    Der letzte Aufruf. Es blieb keine Zeit mehr. Die Bodenstewardeß mahnte zur Eile.
    »Ich komme wieder«, sagte Irene mit einer ganz kleinen Stimme. Boris nickte.
    »Wann?«
    »Im nächsten Jahr. Vielleicht zu Ostern.«
    »Bis dahin werden für mich
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