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Die Liebenden von Sotschi

Die Liebenden von Sotschi

Titel: Die Liebenden von Sotschi
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jahrhunderte vergangen sein.«
    »Boris!«
    »Irinaschka!«
    »Ich liebe dich.«
    »Die Welt ist anders geworden.«
    »Auf Wiedersehen …«
    »Da swidanija …«
    »Bittä kommän …« rief die Stewardeß.
    »Ich muß gehen …« sagte Irene leise.
    »Küß mich noch einmal!«
    Sie küßten sich, spürten sich zum letztenmal und rissen sich dann auseinander. Ohne sich umzudrehen, lief Irene Walther durch das Gatter, den Kopf in den Nacken geworfen, als wolle sie in den Himmel schreien. Auch Boris verließ sofort die Flughalle, auch er blickte sich nicht um. Aber draußen auf dem Parkplatz lehnte er sich an eine Taxe, sagte: »Genosse, ich gebe dir einen Rubel extra!« und wartete, bis sich das Flugzeug in die Luft gehoben hatte. Erst, als es im Sonnenglast verschwand, aufgesogen von der Weite des Himmels, stieg er ein und sagte: »Sanatorium Sarja.«
    »Boris, mein fernes Leben! Wenn Du diesen Brief erhältst, sind Tage, vielleicht auch Wochen vorbeigegangen, und jeder Tag und jede Nacht waren erfüllt von Gesprächen mit Dir. Was habe ich Dir alles gesagt! Man kann es nicht schreiben – ich würde mich schämen.
    Natürlich haben sofort alle Kollegen gefragt: Wie war es in Sotschi? Hast du genug zu essen bekommen? Stimmt es, daß die Hotels alles haben, während die Zivilbevölkerung manchmal vier Wochen lang kein Fleisch sieht? Ich habe gesagt: Das weiß ich nicht. Aber wenn das Paradies zwei Namen hätte, einer davon müßte Sotschi sein. Sie haben dumm gegrinst, und dann kamen wieder die üblichen Witze von Radio Eriwan. Was wissen sie schon, was Sotschi für mich bedeutet!
    Vor zwei Tagen ist mir in meiner Forschung ein großer Erfolg gelungen. Fast durch Zufall, wie so manche große Erfindung durch Zufall gemacht wurde. Ich bin seither von der Arbeit so eingespannt, daß ich gar keine Zeit habe, meiner Sehnsucht nachzugeben. Nur in den Nächten ist es schlimm. Dann fehlt mir Dein ruhiger Atem, Deine Wärme, die Bewegung Deiner Glieder, wenn Du Dich im Schlaf umdrehst … Du weißt gar nicht, wie oft und lange ich neben Dir gelegen und Dich im Schlaf beobachtet habe, wie genau ich alle Deine Gewohnheiten kenne, das Zucken in Deinem Gesicht, wenn du träumst, das unbewußte Aneinanderreiben der Fußsohlen … Oh, Boris, Du bist immer um mich!
    Ich habe für April den nächsten Urlaub eingereicht. Hoffentlich gelingt es. Meine Arbeit kann in ein Stadium kommen, wo ich unabkömmlich werde. Das ist das Schlimmste überhaupt: Die Geduld aufbringen, bis ich Dich wiedersehen werde.
    Ich liebe Dich, Boris. Vielleicht liebe ich zum erstenmal wirklich. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß alles, was ich fühle, neu und unbekannt ist, wunderschön und himmelweit.
    Ich spüre, wie Du mich umarmst …
    Deine Irinaschka.«
    Die Iljuschin-Maschine der Aeroflot hatte die tschechische Grenze bei Ostrava überflogen und nahm Kurs auf Prag, als sich in der sechsten Reihe, Sitzplatz am Gang, ein Mann erhob und langsam nach vorne ging. Es war ein unscheinbarer, höflicher Mensch, der auf dem Flug ein Glas Wein getrunken und ein wenig Gebäck verzehrt und sich beim Einsteigen in Moskau etwas ungelenk und hilflos benommen hatte, so, als fliege er zum erstenmal.
    Er trug einen ausgebeulten grauen Anzug, hatte den Hemdkragen geöffnet und den Schlips etwas heruntergezogen. Mit ruhigen Schritten durchquerte er die vordere Bordküche und griff nach der Klinke der Tür zum Cockpit. Die Stewardeß Jelena Nikolajewna lächelte ihn freundlich an und legte die Hand auf seinen Arm. »Da dürfen Sie nicht hinein, Genosse.«
    »Ich weiß. Aber ich gehe trotzdem hinein, Schwesterchen.«
    »Es wird Ärger geben. Bitte! Kapitän Kaschlew hält streng auf Ordnung.«
    »Ich auch!« Der Mann lächelte, wie um Verzeihung bittend. »An seiner Stelle wäre ich auch wütend. Aber es läßt sich nicht vermeiden.«
    Er riß die schmale Leichtmetalltür auf, trat in das Cockpit und nickte dem Ingenieur zu, der vor seiner verwirrenden Instrumententafel saß und die vibrierenden Nadeln in den Kontrolluhren beobachtete. Der Co-Pilot wandte den Kopf, warf einen erstaunten Blick auf den Besucher und sagte gleichgültig: »An den Toiletten sind Sie schon vorbei.«
    »Dort war ich bereits und habe mich vorbereitet. Danke, Genosse.« Er griff in die Tasche, holte eine Tokarev-Pistole heraus und hielt sie dem Flugkapitän, der sich nun auch umwandte, unter die Augen. Das alles geschah ohne Eile, ohne laute Worte, ohne Dramatik. Da kommt ein Mann ins Cockpit,
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