Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel
Autoren: Claudie Gallay
Vom Netzwerk:
Bett.
    Den Rucksack.
    An der Decke Hunderte von Glühbirnen, dicht an dicht. Verstaubt, die Kabel durcheinander, sie überschneiden sich. Marie blickt nach oben, streckt die Hand aus, berührt die Wölbung des Glases, die glatte, runde Oberfläche.
    Sie geht zum Fenster. Die Place Saint-Pierre ist menschenleer. Die Kirche wirkt riesig.
    Der Kronleuchter aus böhmischem Glas liegt in einer Ecke. Sie bückt sich, steckt die Finger zwischen den Kristallbehang. Nimmt die geschliffenen Glasstücke, hebt sie hoch, sie sind mandel- und tränenförmig.
    Marie betrachtet die Nacht.
    Sie setzt sich auf das Bett, den Blick auf die erloschenen Glühbirnen gerichtet. Ist ihr Bruder zum Schweigen verurteilt? Sie weiß nicht, ob es darauf eine Antwort gibt. Sie glaubt, dass sie verrückt sei, den Himmel zu betrachten und sich zu wünschen, dass jemand antwortet.
    Sie zählt die Glühbirnen. Es sind zu viele, sie verliert die Lust.
    Sie fährt mit dem Finger über die Wunde. Die Lippe tut nicht mehr weh.
    Das Foto ist mit Heftzwecken unter dem Fenster befestigt. Die Ecke ist dunkel. Sie hat keine Streichhölzer mehr.
    Rechts neben der Tür findet sie Steckdosen. Ein verstaubtes gelbes Kabel. Sie steckt es in den Stecker und blickt zu den Glühbirnen. Sie wartet. Nichts geschieht. Sie wechselt die Steckdose. Ein erster Funke blitzt auf, ein zweiter und dann noch einer. Winzige Fünkchen, die über den Boden kriechen.
    Es knistert in der Steckdose, und die Glühbirnen leuchten auf.
    Plötzlich, heftig.
    Ein grelles weißes Licht.
    Marie reißt die Augen auf. Es ist wunderschön! Die Decke verschwindet in all diesem Licht. Maries Gesicht.
    Sie hört ein Knistern im Kabel, ein paar Glühbirnen knallen, andere blinken, dann erlischt alles.
    Mit einem Mal ist es dunkel. Marie berührt das Kabel, und das Licht kehrt zurück.
    Sie kriecht zu dem Foto. Es ist eine Schwarzweißaufnahme, ein Vogel, der inmitten von Kugeln fliegt. Eine liegende Schrift, mit schwarzem Filzstift geschrieben: »Libanon, Januar 1976.«
    Lange betrachtet sie das Foto im Blinklicht der Lampen.
    Sie haben den Körper ihres Bruders in einem Pappsarg verbrannt. Im Park nebenan sägte ein Typ einen Baum mit einer Motorsäge ab. Der Raum war weiß gestrichen, ganz frisch, die Mutter trug Schwarz.
    Alle gingen hinaus, liefen unter den Bäumen. Marie blickte hoch und sah den Rauch. Ein kalter Nieselregen fiel. Bei achthundert Grad werden die Knochen zu Asche, hatte sie in einem Prospekt gelesen.
    Das Geräusch, die Farben, alles ist in ihrem Kopf, sie kann es nicht vergessen.
    Sie setzt sich wieder neben den Kristalllüster.
    Schließt die Augen. Hört den Regen, vielleicht ist es auch das Knistern des Stroms in den alten Kabeln.
    Das Licht hinter ihren Lidern.
    Sie drückt den Digitalisstrauß an sich. Legt ihn auf ihre Knie. Das Licht lässt das Purpur der Blütenblätter vibrieren. Sie sehen aus, als wären sie aus Samt.
    Mit den Fingern streicht sie über die Blüten.
    Sie entfernt ein erstes Blatt und atmet den Duft ein. Steckt es zwischen die Lippen. Zerkleinert es mit den Zähnen. Der Saft ist bitter. Sie kaut. Schiebt mit dem Finger nach, zwingt sich zum Schlucken, so wie sie sich bei der Asche gezwungen hat.
    Sie entfernt ein zweites Blatt.
    Sie lehnt den Nacken an die Wand und betrachtet die Lichter an der Decke, die Glühbirnen strahlen wie Tausende von Sternen.
    Sie gehen nicht mehr aus. Sie so intensiv anzustarren tut weh in den Augen.
    Sie zieht den Kronleuchter zu sich, streichelt die Kristalltränen.
    Sie schluckt.
    Mehrmals. Die Blätter sind giftiger als die Blüten.
    Acht Gramm reichen aus, hat Julie gesagt.
    Das Licht durchdringt den Kronleuchter.
    Sie entfernt ein weiteres Blatt.

J ulie und die Jungs treffen sich nach der Vorstellung auf dem Kahn. Mit Jeff und Odon. Yanns Freundin ist ebenfalls da. So ist es jedes Jahr, nach der letzten Vorstellung essen sie alle gemeinsam zu Abend. Gewöhnlich ist es ein Augenblick der Entspannung nach den Anspannungen des Festivals.
    Greg ist nicht da, er sucht Marie.
    Jeff hat einen Fisch mit weißem Fleisch zubereitet. Eine Art Karpfen, den er aus dem schlammigen Wasser des Flusses geangelt hat. Er hat ihn mit grobem Salz bedeckt. Er stellt die Platte auf den Tisch.
    Auch er macht sich Sorgen. Er spricht fast nicht, ein paar wenige Worte.
    Das Salz hat sich im Ofen in eine dicke Kruste verwandelt. Das Fleisch ist zart, schmeckt aber nicht besonders. Trotzdem verteilt er den Fisch zu gleichen Teilen.
    Es hat Streit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher