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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel
Autoren: Claudie Gallay
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Sie betrachtet ihr Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken.
    Vorsichtig wäscht sie das getrocknete Blut von ihrem Kinn. Der Ring ist über die Bühne gerollt, sie hat ihn nicht aufgehoben.
    Sie geht zum Fenster. Nuit rouge ist seit langem zu Ende. Im Restaurant de l’Épicerie sitzen noch Leute.
    Sie hat Greg fortgehen sehen, er war allein, ohne die anderen.
    Er kommt zurück, immer noch allein, überquert den Platz, nähert sich der Tür. Sie macht einen Schritt nach hinten. Er könnte aufblicken und ihren Schatten sehen. Das will sie vermeiden.
    Nach dem Leben kommt der Tod, sagte ihr Bruder. Und davor? Davor ist früher, sagte er. Der Tod auch, vielleicht … Und die Erinnerung ist alles, was danach kommt.
    Sie schiebt ihre Uhr unter die Matratze. Sie schläft. Träumt von Judas, aber Judas ohne die Jünger. Er geht allein durch einen Wald. Sie hat noch andere Träume.
    Sie wacht auf. Der Raum wird von den Laternen auf dem Platz erhellt.
    Während sie geschlafen hat, ist ihre Lippe noch mehr geschwollen, im Spiegel sieht sie blau aus.
    Alles ist ruhig.
    Sie blickt aus dem Fenster. Die schmutzige Scheibe beschlägt von ihrem fiebrigen Atem.
    Marie geht hinunter. Mit vorsichtigem Schritt. Selbst in einem leeren Theater muss sie aufpassen, dass die Stufen nicht knarren.
    Sie macht kein Licht.
    Sie nimmt das Feuerzeug und die Streichhölzer von Odons Schreibtisch. Geht in den Flur und durchquert ihn im Schein der Flamme.
    Auf der Bühne kniet sie sich hin und sucht den Ring. Mit der flachen Hand. An der Stelle, wo er zu Boden gefallen ist, und drum herum. Er ist gerollt.
    Sie sucht ein Stück weiter weg. Überall.
    Der Boden riecht nach Schweiß und Staub. Das Holz fühlt sich glatt an. Sobald sie den Ring gefunden hat, wird sie ihn wieder in die Lippe stecken. Es wird wehtun.
    Das Feuerzeug erlischt.
    Marie entzündet ein Streichholz. Sucht im Schein der Flamme. Das Streichholz erlischt. Sie entzündet ein zweites. Bald sind keine Streichhölzer mehr in der Schachtel.
    Sie sucht in der Dunkelheit, nur mit den Händen.
    Ein grünes Nachtlicht brennt über der Tür, die auf die Straße hinausgeht.
    Ihr Rucksack liegt auf dem Regal, der Fotoapparat auf dem Bett.
    Sie kehrt ins Büro zurück.
    Dort findet sie ein angebrochenes Päckchen M&Ms. Sie steckt eine Erdnuss in den Mund, lässt die Schokolade schmelzen.
    Sie ist müde.
    Sie wird noch etwas schlafen, eine Stunde oder zwei. Am Morgen wird sie das Theater vor Sonnenaufgang verlassen. Sie wird direkt zum Bahnhof gehen. Sie pfeift auf ihre Sachen. Später wird sie Isabelle anrufen.

D er Digitalisstrauß steht in einer Vase auf dem Schreibtisch. Die Stiele im Wasser. Das Wasser ist leicht trüb. Jeff macht es immer so, nach der Vorstellung sammelt er die Blumen ein und stellt sie für den nächsten Tag in die Vase.
    Wenn sie verwelkt sind, ersetzt er sie durch neue.
    Blumen wie Lampenschirme. Marie hat sie auf der Bühne gesehen. Sie hat sie in Julies Händen gesehen. Doch immer nur aus der Ferne. Aus der Nähe sind sie noch schöner. Es sind Blütengirlanden, schwere Trauben, die an den Stielen herunterhängen, sie erinnern an Glocken.
    Sie atmet den Duft ein.
    Sie nimmt den Strauß aus dem Wasser und geht nach oben.
    Sie legt die Blumen aufs Bett.
    Sie geht zum Spiegel und entfernt alle Piercings. Eines nach dem anderen. Sie nimmt sie heraus und legt sie neben den Rasierer auf die weiße Ablage.
    Sie trinkt Wasser. Macht ein Foto von den Ringen und dem Stift auf der Ablage.
    Sie geht zur Matratze zurück.
    In ihrem Rucksack liegen die Brötchen, die sie im La Mirande mitgenommen hat. Etwas hart. Dazu die Marmelade. Sie kaut vorsichtig.
    Das Licht von draußen zeichnet ein helles Quadrat auf den Boden. Nachtfalter fliegen gegen die Scheiben. Das Geräusch von Flügeln und Körpern, die gegen das Glas schlagen. Sie überlegt, ihnen aufzumachen.
    Sie rührt sich nicht von der Stelle.
    Sie legt sich auf das Parkett, in das Lichtquadrat. Zeichnet mit dem Staub.
    An der Wand lehnt eine Mühlenleiter. Oben eine Klappe.
    Ein Speicher unter dem Dach. Marie könnte von dort aus die Sterne sehen. Vielleicht … Manchmal gibt es Öffnungen in den Dächern, die zum Himmel gehen.
    Sie greift sich ihren Rucksack.
    Die Blumen nimmt sie mit.
    Sie umklammert mit der Hand das Geländer. Steigt zehn Sprossen hinauf.
    Es ist ein merkwürdiger Raum mit einer Truhe, allem möglichen Krempel und zwei Fenstern. Ein Bett mit einer karierten Überdecke.
    Marie legt den Strauß auf das
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