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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Autoren: Gabriel García Márquez
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der Kapitän und von umwerfender Schönheit, nur der Bart fehlte ihr noch, um sich im Zirkus engagieren lassen zu können. Sie hieß Zenaida Neves, aber der Kapitän nannte sie Meine Kraftmenschin. Sie war eine alte Freundin, die er an einem Hafen aufzugabeln pflegte, um sie an einem anderen wieder abzusetzen, und die vom Sturmwind der Wonne getrieben an Bord kam. In jenem traurigen Kaff, wo für Florentino Ariza die wehmütige Erinnerung an Rosalba wieder lebendig wurde, als er sah, wie der Zug nach Envigado sich mühselig den alten Maultierpfad hocharbeitete, ging ein amazonischer Wolkenbruch nieder, der mit wenigen Unterbrechungen den Rest der Reise über andauern sollte. Doch das störte niemand: Das Fest auf dem Wasser hatte sein eigenes Dach. In jener Nacht stieg Fermina Daza unter den Ovationen der Mannschaft in die Schiffsküche hinunter und kreierte für alle ein Gericht, das Florentino Ariza für sich Liebesauberginen taufte. Tagsüber spielten sie Karten, aßen bis zum Platzen und hielten steinerne Siestas, aus denen sie erschöpft erwachten, kaum aber war die Sonne untergegangen, ließen sie die Kapelle aufspielen, aßen Lachs und tranken über den Durst hinaus Anisschnaps. Es war eine schnelle Reise mit einem leichten Schiff und reichlich Wasser, das noch durch die Fluten vermehrt wurde, die vom Oberlauf des Flusses herunterstürzten, wo es in jener Woche mehr regnete als auf der ganzen restlichen Strecke. In einigen Dörfern wurden barmherzige Böllerschüsse für sie abgefeuert, um die Cholera zu vertreiben, und sie dankten mit einem traurigen Tuten. Die Schiffe anderer Reedereien, denen sie auf der Fahrt begegneten, grüßten mit Kondolenzsignalen. In dem Dorf Magangue, wo Mercedes geboren ist, luden sie Holz für den Rest der Reise.
    Fermina Daza erschrak, als sie die Schiffssirenen in ihrem gesunden Ohr hörte, doch am zweiten Anistag hörte sie dann wieder auf beiden besser. Sie entdeckte, daß die Rosen stärker dufteten als früher, daß die Vögel im Morgengrauen sehr viel schöner sangen als früher und daß Gott eine Seekuh für sie geschaffen und am Strand von Tamalameque ausgesetzt hatte, nur damit sie von dieser geweckt werden konnte. Als der Kapitän das Tier hörte, ließ er das Schiff näherdriften, bis sie schließlich die riesige Matrone, die das Junge in ihren Armen säugte, sehen konnten. Weder Florentino noch Fermina war bewußt, wie sehr sie zusammengewachsen waren: Sie half ihm bei den Spülungen, stand vor ihm auf, um sein Gebiß zu putzen, das er vor dem Schlafen ins Wasserglas gelegt hatte, und hatte eine Lösung für ihre ständig verlegte Brille gefunden, da sie auch mit seiner lesen und stopfen konnte. Eines Morgens, als sie aufwachte, sah sie ihn in der Dämmerung einen Hemdenknopf annähen und beeilte sich, es für ihn zu erledigen, bevor er den rituellen Satz von den zwei Frauen, die man eigentlich brauchte, wiederholen konnte. Für sich selbst nahm sie ihn dagegen nur in Anspruch, als sie gegen die Rückenschmerzen einen warmen Glassaugnapf angesetzt bekommen mußte.
    Florentino Ariza machte sich seinerseits daran, mit einer Geige der Kapelle nostalgische Erinnerungen zu beleben, und war nach einem halben Tag schon in der Lage, den Walzer der Bekränzten Göttin für sie zu spielen, spielte ihn stundenlang, bis man ihn zwang aufzuhören. Eines Nachts wachte Fermina Daza zum ersten Mal von einem erstickten Weinen auf, sie weinte nicht aus Wut, sondern aus Schmerz über die beiden von dem Bootsführer niedergeknüppelten alten Leute. Der unaufhörliche Regen bedrückte sie dagegen nicht, und ihr kam reichlich spät der Gedanke, daß Paris vielleicht nicht so grau war, wie sie es empfunden hatte, und sich in Santa Fe vielleicht nicht so viele Trauerzüge durch die Straßen bewegten. Der Traum anderer zukünftiger Reisen mit Florentino Ariza tauchte am Horizont auf: verrückte Reisen ohne die vielen Koffer und ohne gesellschaftliche Verpflichtungen: Liebesreisen.
    Am Vorabend der Ankunft feierten sie ein großes Fest mit Papiergirlanden und bunten Lämpchen. Gegen Abend hatte der Regen aufgehört. Der Kapitän tanzte eng umschlungen mit Zenaida die ersten Boleros, die in jenen Jahren die Herzen brechen ließen. Florentino Ariza wagte den Vorschlag, auch sie beide sollten ihren eigenen Walzer tanzen, doch sie weigerte sich. Den ganzen Abend über wiegte sie dann aber den Kopf im Takt der Musik, klapperte mit den Absätzen dazu, und es kam sogar der Augenblick, da sie, ohne es
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