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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Autoren: Gabriel García Márquez
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aber glaubte, der Anisschnaps solle ihr Mut für den letzten Schritt machen. Ermuntert von dieser Vorstellung, wagte er, mit den Fingerkuppen ihren welken Hals zu erforschen, dann die mit Metallstäbchen bewehrte Brust, die Hüften mit brüchigen Knochen und die Schenkel einer alten Hindin. Ohne zu erschauern, ließ sie es willig mit sich geschehen, während sie rauchte und ab und zu einen Schluck trank. Als die streichelnde Hand schließlich über ihren Bauch glitt, hatte sie schon genug Anis im Herzen.
    »Wenn wir schon Dummheiten machen, bitte schön«, sagte sie, »dann doch wie erwachsene Leute.« Sie nahm ihn mit ins Schlafzimmer und begann, sich ohne falsche Scham bei Licht auszuziehen. Florentino Ariza legte sich auf das Bett und versuchte, seine Fassung wiederzuerlangen, wußte aber wieder einmal nicht, was er mit dem Fell des erlegten Tigers anfangen sollte. Sie sagte: »Nicht herschauen.« Er fragte, warum, ohne die Augen von der Decke zu wenden.
    »Weil es dir nicht gefallen wird«, sagte sie. Da schaute er sie an und sah sie nackt bis zur Taille, so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Sie hatte faltige Schultern, Hängebrüste, und die Rippenpartie war von einer fahlen und kalten Haut wie bei einem Frosch überzogen. Sie bedeckte die Brust mit der eben erst ausgezogenen Bluse und löschte das Licht. Er richtete sich auf und begann sich zu entkleiden, warf dabei mit jedem abgelegten Stück nach ihr, und sie lachte sich krank, wenn sie es zurückschleuderte. Sie blieben eine ganze Weile auf dem Rücken liegen, und seine Verwirrung nahm zu, je nüchterner er wieder wurde, und sie lag ruhig, fast wie gelähmt da, betete aber zu Gott, daß sie nicht grundlos lachen müßte, wie jedes Mal, wenn sie mit dem Anis über die Stränge geschlagen war. Sie plauderten, um die Zeit zu vertreiben. Sie sprachen über sich, über ihr unterschiedliches Leben, über den unglaublichen Zufall, daß sie nackt in der dunklen Kabine eines festliegenden Schiffes lagen, wo man doch eigentlich hätte annehmen können, daß sie für nichts anderes mehr Zeit hatten, als auf den Tod zu warten. Sie hatte nie gehört daß er eine Frau gehabt hatte, nicht eine einzige, und das in einer Stadt, in der alles, noch ehe es geschah, bekannt wurde. Sie sagte es beiläufig, und er erwiderte prompt, ohne mit der Stimme zu zittern: »Ich habe für dich meine Unschuld bewahrt.« Sie hätte es auch nicht geglaubt, wenn es wahr gewesen wäre, da seine Liebesbriefe aus solchen Sätzen bestanden, deren Wert nicht in der Aussage selbst, sondern in ihrer Blendkraft lag. Ihr gefiel jedoch die Kühnheit, mit der er es behauptet hatte. Florentino Ariza fragte sich nun plötzlich seinerseits, was er sich zu fragen nie getraut hatte: Was für eine Art von Geheimleben sie wohl am Rande ihrer Ehe geführt hatte. Nichts hätte ihn überrascht, denn er wußte, daß Frauen bei ihren heimlichen Abenteuern nicht anders sind als Männer: die gleichen Kriegslisten, die gleichen plötzlichen Eingebungen, der gleiche Verrat ohne Reue. Doch er tat gut daran, nicht zu fragen. Zu einer Zeit, da Fermina Dazas Verhältnis zur Kirche schon arg lädiert war, hatte ihr Beichtvater sie grundlos gefragt, ob sie ihrem Mann schon einmal untreu gewesen sei, worauf sie, ohne zu antworten, ohne zu Ende zu beichten, ohne zu grüßen, aufgestanden war und nie wieder bei diesem oder irgendeinem anderen Priester gebeichtet hatte. Florentino Arizas Zurückhaltung wurde jedoch unerwartet belohnt: Sie streckte ihre Hand in die Dunkelheit aus, streichelte seinen Bauch, die Flanken, seinen kaum behaarten Unterleib. Sie sagte: »Du hast eine Haut wie ein kleiner Junge.« Dann tat sie den letzten Schritt: Sie suchte ihn, wo er nicht war, suchte ohne Hoffnung weiter und fand ein hilfloses Etwas.
    »Er ist tot«, sagte er.
    Beim ersten Mal war es ihm oft so ergangen, schon immer, so daß er gelernt hatte, mit diesem Gespenst zu leben: Jedesmal hatte er von neuem lernen müssen, als sei es das erste Mal. Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine Brust: Fermina Daza spürte unter der Haut das alte unermüdliche Herz, das mit der Kraft und dem Ungestüm eines Jünglings schlug. Er sagte: »Zu viel Liebe ist ebenso schlecht dafür wie fehlende Liebe.« Doch er sagte es ohne Überzeugung: Er war beschämt, wütend auf sich selbst und suchte sehnlichst einen Grund, um ihr die Schuld an seinem Scheitern zuschieben zu können. Sie wußte das und begann, den wehrlosen Körper mit spöttischen
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