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Die Liebe des letzten Tycoon

Die Liebe des letzten Tycoon

Titel: Die Liebe des letzten Tycoon
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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hatte, ein großer Mann sein musste, barmherzig und verständnisvoll. Am Anfang und am Ende seines Lebens braucht der Mensch Nahrung. Eine Brust… einen Schrein… einen Ort, an dem er sich, wenn er nicht mehr gebraucht wird, niederlegen kann, um sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen.
    Das haben wir aber erst zwanzig Stunden später erfahren. Als wir zum Flughafen kamen, sagten wir dem Purser, dass Mr. Schwartze den Flug nicht fortsetzen würde, und vergaßen ihn dann. Die Gewitterfront war ins östliche Tennessee weitergezogen und hatte sich an den Bergen [25] entladen, und knapp eine Stunde später waren wir wieder startbereit. Verschlafene Reisende kamen aus dem Hotel, und ich döste ein paar Minuten auf einer dieser fälschlicherweise als Couch bezeichneten Eisernen Jungfrauen. Langsam erstand aus den Trümmern unserer verpatzten Unternehmung wieder die Vorstellung einer gefahrvollen Reise. Eine neue Stewardess, groß, bildhübsch, auffallend brünett, der anderen zum Verwechseln ähnlich, nur dass sie Seersucker trug statt französisches Rotblau, ging mit einem Koffer in der Hand forschen Schrittes an uns vorbei. Wylie hatte sich neben mich gesetzt.
    »Hast du Mr. Smith den Brief gegeben?«, fragte ich schon fast im Halbschlaf.
    »Allerdings.«
    »Wer ist Mr. Smith? Ich habe den Verdacht, dass er Mr. Schwartze die Reise vermasselt hat.«
    »Das hat Schwartze sich selber zuzuschreiben.«
    »Ich habe was gegen Dampfwalzen«, sagte ich. »Wenn mein Vater anfängt, zu Hause die Dampfwalze zu spielen, sage ich ihm, dass er sich das fürs Studio aufheben soll.«
    War das fair? So früh am Morgen sind Worte matte Münze. »Immerhin haben mich seine Dampfwalzenmethoden bis nach Bennington gebracht, und dafür bin ich sehr dankbar.«
    »Ein Zusammenstoß von Dampfwalze Brady mit Dampfwalze Smith würde ganz schön krachen«, sagte Wylie.
    »Ist Mr. Smith ein Konkurrent meines Vaters?«
    »Nicht wirklich. Nein, genau genommen gar nicht. Wäre er ein Konkurrent, wüsste ich, auf wen ich mein Geld zu setzen hätte.«
    [26] »Auf meinen Vater?«
    »Nein, bedaure.«
    Es war zu früh für familienpatriotische Aufwallungen. Der Pilot stand mit dem Purser am Schalter und besah sich kopfschüttelnd einen künftigen Passagier, der zwei Nickel in den elektrischen Plattenspieler gesteckt hatte und jetzt alkoholisiert auf einer Bank saß und gegen den Schlaf ankämpfte. Lost, der erste Song, den er ausgesucht hatte, dröhnte durch den Raum, nach einer kleinen Pause gefolgt von Gone, seiner zweiten Wahl, die nicht weniger dogmatisch und endgültig war. Der Pilot schüttelte wieder nachdrücklich den Kopf und ging zu dem Passagier hinüber.
    »Diesmal können wir Sie leider nicht mitnehmen, alter Junge.«
    »Wa-was?«
    Der Betrunkene setzte sich auf – er war in einem schrecklichen Zustand, dennoch erkennbar gut aussehend –, und trotz seines heftigen musikalischen Missgriffs tat er mir leid.
    »Fahren Sie zurück ins Hotel und schlafen Sie ein paar Stunden. Heute Abend kommt die nächste Maschine.«
    »Hinauf in die Lü-hüfte…«
    »Diesmal nicht, alter Junge.«
    Vor lauter Enttäuschung plumpste der Betrunkene von der Bank – und über das Plattenspielergedudel hinweg rief ein Lautsprecher uns ehrbare Bürger nach draußen. Wir gingen an Bord, und im Gang fiel ich fast Monroe Stahr in die Arme, was mir nicht unlieb war. Es war ein Mann, auf den alle Mädchen flogen, ob er sie nun dazu ermunterte oder nicht. Bei mir war das eindeutig nicht der Fall, aber er mochte mich und setzte sich bis zum Start zu mir.
    [27] »Am besten lassen wir uns alle unser Geld zurückgeben«, schlug er vor. Seine dunklen Augen musterten mich nachdenklich, und ich fragte mich, wie sie wohl aussehen mochten, wenn er sich verliebte. Sie hielten einen, so freundlich sie auch waren, auf Distanz und wirkten, auch wenn sie einem aufmunternd zuzureden schienen, immer eine Spur überheblich. Sie konnten nichts dafür, dass sie so viel wahrnahmen. Stahr konnte bei Bedarf perfekt den guten Kumpel geben, im Großen und Ganzen aber, denke ich, war er wohl genau das nicht. Doch er verstand sich aufs Schweigen, verstand sich darauf, in den Hintergrund zu treten, zuzuhören. Von seinem Standort aus beobachtete er (und obwohl er nicht groß war, hatte man den Eindruck, dass dies aus großer Höhe geschah) das vielgestaltige Tun und Treiben seiner Welt wie ein stolzer junger Hirte, dem Tag und Nacht gleich galten. Er war von Geburt an mit Schlaflosigkeit
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