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Die Liebe des letzten Tycoon

Die Liebe des letzten Tycoon

Titel: Die Liebe des letzten Tycoon
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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zuzudecken.
    »Gleich geschafft«, sagte sie.
    Durchs Fenster sah ich im Licht des Sonnenuntergangs, dass wir in einem grüneren Land waren.
    »Ich hab gerade was Lustiges gehört«, platzte sie heraus. »Vorn im Cockpit… dieser Mr. Smith… oder Mr. Stahr… ich kann mich nicht erinnern, jemals seinen Namen gelesen zu haben.«
    »In den Filmen erscheint er auch nicht«, sagte ich.
    »Soso… Also er hat dem Piloten jede Menge Fragen gestellt, sein Interesse ist echt, wissen Sie…«
    »Ich weiß.«
    [34] »Einer hat gesagt, er würde jede Wette eingehen, dass man Mr. Stahr in zehn Minuten für den Alleinflug fit machen könnte. Er hat eine unglaubliche Auffassungsgabe, so hat er es gesagt.«
    Ich verlor die Geduld. »Und was ist daran so lustig?«
    »Zum Schluss hat einer der Piloten Mr. Smith gefragt, ob er Spaß an seinem Laden hat, und Mr. Smith hat gesagt: ›Aber sicher. Klar hab ich Spaß an dem Laden. Es ist ein tolles Gefühl, wenn du in einer Handvoll tauber Nüsse die einzig gute bist.‹«
    Die Stewardess bog sich vor Lachen – und ich hätte ihr am liebsten ins Gesicht gespuckt.
    »Nüsse hat er diese Leute genannt, taube Nüsse! Also wirklich…« Ihr Gelächter brach jäh ab, und als sie aufstand, machte sie ein ernstes Gesicht. »Also ich muss noch meine Tabelle fertigmachen.«
    »Wiedersehen.«
    Da hatte also Stahr die Piloten zu sich auf den Thron geholt und sie eine Weile mitregieren lassen. Einen von ihnen traf ich nach Jahren auf einem Flug wieder und erfuhr von ihm etwas aus seinem Gespräch mit Stahr.
    Stahr sah auf die Berge hinunter.
    »Angenommen, Sie wären Eisenbahnkonstrukteur«, sagte er. »Sie müssen irgendwo durch dieses Gelände ein Strecke legen lassen. Die Geometer kommen mit ihren Berichten zu Ihnen, und Sie stellen fest, dass es drei oder vier oder ein halbes Dutzend Möglichkeiten gibt, von denen keine besser ist als die andere. Sie müssen entscheiden – aber auf welcher Grundlage? Testen kann man die günstigste Strecke nur, indem man sie baut. Also legen Sie los.«
    [35] Der Pilot dachte, er hätte da was nicht mitgekriegt.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie entscheiden sich für eine beliebige Strecke, ohne konkreten Grund. Nur weil der Berg so schön rosafarben oder das Blau einer Blaupause hübscher ist. Verstehen Sie?«
    Es sei ein sehr wertvoller Ratschlag gewesen, meinte der Pilot, allerdings werde er wohl kaum jemals in die Lage kommen, ihn in die Praxis umzusetzen.
    »Ich hätte zu gern gewusst«, sagte er nachdenklich, »wie er Mr. Stahr geworden ist.«
    Diese Frage hätte Stahr wohl nicht beantworten können, denn das Embryo besitzt kein Gedächtnis, aber vielleicht hätte ich ihm ein wenig weiterhelfen können. Stahr war hoch hinaufgeflogen, um einen Überblick zu bekommen, auf kräftigen Flügeln, in jungen Jahren, und hatte dort oben alle Reiche der Welt geschaut, mit Augen, die in die Sonne sehen konnten. Unermüdlich und zum Schluss hektisch mit den Flügeln schlagend, hatte er sich dort oben länger gehalten als die meisten Menschen, hatte sich das, was er aus dieser großen Höhe erblickt hatte, gewissenhaft eingeprägt und sich dann allmählich wieder zur Erde herabgelassen.
    Die Motoren waren gedrosselt, und unsere fünf Sinne stellten sich nach und nach auf die Landung ein. Geradeaus und zur Linken sah ich eine Lichterkette, das war die Long Beach Naval Station, und rechts das verschwommene Blinken war Santa Monica. Der kalifornische Mond hing groß und orangefarben über dem Pazifik. Wie sehr mich auch dieser Anblick berühren mochte – und immerhin war das, was unter mir lag, meine Heimat –, Stahr [36] bewegte er mit Sicherheit noch sehr viel stärker. Ich war in all dies – wie etwa in die Szene mit den Schafen auf dem Außengelände der Laemmle-Studios – hineingeboren worden, aber für Stahr war es der Ort, an dem er nach seinem außergewöhnlichen, erleuchteten Flug zur Erde zurückgekehrt war, einem Flug, auf dem er erkannt hatte, wohin unser Weg führte, wie wir ihn bewältigten und inwieweit das alles überhaupt wichtig war. Man könnte einwenden, dass ein zufälliger Windstoß ihn dorthin geweht hatte, aber das glaube ich nicht. Ich denke eher, dass er wie in einer Totale eine neue Möglichkeit gesehen hatte, unsere sprunghaften Hoffnungen und eleganten Gaunereien und misslichen Kümmernisse zu ermessen, und dass er aus eigenem Antrieb hergekommen war, um bis zum Schluss bei uns zu sein. Wie das Flugzeug, das in der warmen Dunkelheit zur
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