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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger
Autoren: Elmar Bereuter
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paar Zeilen schreiben würden, wäre das sicher nicht verkehrt.« Insgeheim dachte er bei sich, dass es dann ein weiteres Dokument gäbe, das, falls er später Scherereien bekommen sollte, zeigen würde, dass die Aktion keine Eigenmächtigkeit seinerseits gewesen war.
    Burr stieg eilig hinab in seine Kajüte und suchte nervös nach seinem Füllhalter, den er endlich in der Innentasche seiner Jacke fand. Als er wieder auf die Brücke kam, lag der gewaltige Rumpf der Elbe bereits längsseits in Sichtweite und auf den Decks beider Schiffe wimmelte es von Menschen, die sich verwundert oder ängstlich fragten, wieso die Fahrt unterbrochen wurde.
    Ein Beiboot wurde zu Wasser gelassen und eine Strickleiter ausgeworfen. Zwei Seeleute kletterten an der leicht überhängenden Bordwand nach unten, sprangen in die heftig schwankende Nussschale und warfen sich sofort mit aller Kraft in die Riemen.
    Mädchen, du solltest sehen, was hier deinetwegen abgeht…
    dachte Burr, während ein viereckiger Behälter von der Elbe knapp vor dem Beiboot spritzend aufklatschte und kurz darauf mit seinem Brief nach oben gezogen wurde.

    Teil I

    De vera et ficta magia

    1

    Peter Binsfeld war in jahrelanger Zielstrebigkeit zu ansehnlicher Macht gelangt und viel höher würde die Leiter nun nicht mehr reichen. In seinem Leben hatte er gelernt, dass Beziehungen mit das Wichtigste waren. Aber bevor
    Beziehungen entstehen konnten, musste man die richtigen Leute kennen lernen und diese auf sich aufmerksam machen.
    Der Sohn armer Bauern aus dem kleinen Dorf Binsfeld in der Eifel wäre vermutlich heute noch der Kuhhirte des nahen Zisterzienserklosters Himmerrod, wenn er nicht dem Abt als außergewöhnlich aufgeweckter Knabe aufgefallen und von ihm als Schüler in das Kloster geholt worden wäre. Als Binsfeld vierundzwanzig Jahre alt war, ermöglichte ihm der Trierer Landesfürst Erzbischof Jakob III. von Eltz auf Empfehlung des Abtes ein sechsjähriges Studium am elitären Collegium Germanicum in Rom, das eigentlich nur adligen Sprösslingen zugänglich war und wo er zu den sieben Besten zählte. Zurück in Trier, wurde er vom Erzbischof mit der Reform der Benediktinerabtei in Prüm betraut. Deren Kirche glich einem Kuhstall, durch das schadhafte Dach platschte ungehindert der Regen auf den wertvollen Mosaikboden, der kaum mehr als solcher zu erkennen war, und auch die Wandgemälde waren fast rettungslos zerstört. Es gab nur noch fünf Priester und einen wahnsinnigen Diakon. Der Abt aus dem Geschlecht derer von Manderscheid war bei Amtsantritt gerade mal neunzehn Jahre alt gewesen, hatte keine theologische Ausbildung, von einer Priesterweihe ganz zu schweigen, und hatte die Kirche kaum je betreten. Zudem kungelte er mit den Ketzern, seine lutherischen Freunde soffen, völlerten und hurten auf Kosten der Abtei. Das waren die Zustände, die Binsfeld nach Trier meldete, verbunden mit der Bitte um freie Vorgehensweise. Prüm war seine Feuertaufe. Er konnte zwar keinen auf Anhieb durchschlagenden Erfolg vermelden, bewies aber Beharrungsvermögen und
    Standfestigkeit. Bereits zwei Jahre darauf wurde er gegen den Widerstand der Stiftsherren zum Probst des Simeonsstiftes ernannt und mit Unterstützung Jakobs als Weihbischof vorgeschlagen, als welcher er zwei Jahre später von Rom bestätigt wurde.
    Peter Binsfeld rückte mit einem scharrenden Geräusch den schweren Sessel nach hinten und trat ans Fenster. Leicht und behutsam schien sich die Dämmerung über die Dächer zu legen, in den Häusern wurden die ersten Lichter angezündet und Trier machte einen in sich ruhenden, gelassenen und friedlichen Eindruck. Doch der Schein trog. In den Straßen und Gassen der Stadt und auch draußen auf dem Land machte sich mit zunehmender Dunkelheit die Angst breit und kroch wie lähmendes Gift in die Seelen der Menschen. Wie viele würden heute Nacht wieder auf Ziegenböcken, Besen oder goldenen Kutschen durch die Lüfte fliegen, um sich auf Hexensabbaten zu treffen und wüste Orgien zu feiern? Wann würde das nächste Unwetter über das Land hereinbrechen, wann die nächste Pestwelle die Menschen wie Fliegen hinwegraffen?
    Seit Anfang der Achtzigerjahre war es nun fast ununterbrochen so. Die Menschen hungerten und darbten, die Böden waren nass und lehmig, die Ernte verfaulte auf den Feldern, die Weinberge trugen nur winzige Trauben, die nicht ausreiften, und die Kühe, aber nicht nur diese, sondern selbst die genügsamen Ziegen gaben kaum noch Milch. Die Menschen wanden
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