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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger
Autoren: Elmar Bereuter
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Kohlepapier dazwischen einlegte, gleich auch Durchschläge erhielt. Was aber nützte das, wenn man sich mehr auf die Technik konzentrieren musste als auf das, was man eigentlich zu Papier bringen wollte? Mit Schaudern dachte er daran, dass der Schriftsteller Mark Twain angeblich ein komplettes Manuskript Buchstabe für Buchstabe in ein solches seelenloses Ding eingetippt haben soll.
    George Lincoln stieß einen langen, schweren Seufzer aus, als er sich an die Beantwortung des ersten Briefes machte, der klare Priorität hatte. Einer seiner Schüler war in den Ferien beim Durchqueren eines Flusses ertrunken und dessen Freundin wollte ohne ihn nicht weiterleben. Allen Ernstes fragte sie nach einer Selbstmordmethode, die einerseits sicher wirkte, andererseits nicht mit übermäßigen Schmerzen verbunden war. Und er solle nicht versuchen, sie
    umzustimmen. Er kannte dieses labile, introvertierte Mädchen und wusste, dass ein offen dahin zielender Versuch zwecklos wäre. Burr antwortete ihr, auch er sei todtraurig, müsse aber ihren Willen akzeptieren, und stellte ihr eine Rezeptur zusammen, mit der sie sanft aus dem Leben schlummern würde. Doch solle sie bedenken, wie viel Leid und Schmerz sie über die Menschen brächte, die ihr nahe stünden und die sie liebten, und ob es fair sei, aus dem eigenen Unglück ein noch viel größeres zu machen.
    »Ich mache mich mitschuldig an Ihrem Tod. Ihr Tod wird einsam und sinnlos sein, da er nichts bewirkt«, schrieb er. »Ihr Schatten wird sich auch über mich legen, aber das Leben wird weitergehen und es werden wieder fröhliche Tage kommen.
    Für alle – außer für Sie.«
    Er erhob sich und trat in das grelle Licht der von einem wolkenlosen Himmel herabstechenden Sonne. Weit ging sein Blick zum endlos erscheinenden Horizont, ohne etwas wahrzunehmen.
    Was, wenn sich das törichte Ding womöglich schon
    umgebracht hatte? »Egal«, sagte er sich, »du musst dir etwas einfallen lassen, wie der Brief schnellstmöglich nach Amerika kommt!«
    Siebenundzwanzig Jahre war er nun alt, kam sich aber viel älter vor. Wieso kommen sie alle zu mir, wenn sie einen Rat oder Hilfe brauchen? Wieso schreiben mich wildfremde Leute an und teilen mir ihre intimsten Geheimnisse mit? George Lincoln hatte es aufgegeben, darüber nachzugrübeln. Nicht nur seine Schüler, sondern auch deren halber Bekanntenkreis wandte sich mit den unmöglichsten Problemen an ihn. Frag den Poppy, hieß es einfach.
    In Gedanken verloren wischte er sich mit dem Hemdsärmel über die Stirn und kehrte in den Schatten zurück, um den Brief zu beenden.
    Als die Schiffsglocke zum Mittagessen läutete, blieb Burr sitzen, da er beschlossen hatte, erst am Abend zu versuchen, wieder eine vernünftige Mahlzeit zu sich zu nehmen. Am Nachmittag kam Aufregung auf dem Achterdeck auf, als ein Schwarm fliegender Fische, die aussahen wie Heringe mit Flügeln, kaum einen Steinwurf entfernt aus dem Wasser aufstieg. Sofort entbrannte eine lebhafte Debatte darüber, ob die Fische wirklich wie die Vögel fliegen könnten, was von einigen bestritten wurde, die der Ansicht waren, sie könnten eben nur besonders hoch und weit springen.
    »Sie fliegen nicht, sie gleiten«, mischte sich Burr ein, »sie benutzen dazu die Brustflossen als starre Flügel.«
    Auch er war von dem Schauspiel fasziniert. Die Tiere mit ihren leuchtend blauen Rücken und silbrig glänzenden Flanken segelten an die vierzig, fünfzig Meter weit wie
    flügelschlagende Enten durch die Luft, um dann auf der bleiern schimmernden Wasserfläche aufzuklatschen.
    »Besonders gut schmecken sie, wenn man sie in einer Mischung aus Zwiebackbröseln, Kokosraspeln und
    gemahlenen Pinienkernen wendet und in heißem Fett herausbäckt«, sagte der dicke Tabakhändler, der sich offensichtlich wieder erholt hatte und nun genießerisch mit der Zunge über die Lippen leckte.

    Am späten Nachmittag suchte Burr den Kapitän in dessen Kajüte auf, der bald darauf alle Mühe hatte, Fassung zu bewahren. Im Lauf der Jahre hatte er genug Spinner erlebt, aber so einer war ihm bisher noch nicht untergekommen. Da stand nun dieser junge Herr vor ihm und erklärte freundlich, aber bestimmt, dass er, der Kapitän, das nächste
    entgegenkommende Schiff anhalten müsse, weil er einen dringenden Brief nach Amerika habe, der keinen Aufschub dulde.
    »Wie stellen Sie sich das vor? Wir sind hier auf hoher See und reisen nicht mit der Eisenbahn oder Kutsche! Hier gibt es keine Bahnhöfe oder Haltestellen! Was glauben
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