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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger
Autoren: Elmar Bereuter
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letztes Mal ging er nach oben, schleppte seinen Sessel mit den breiten, bequemen Lehnen nach draußen.
    Dann zerknüllte er einige Blätter einer Zeitung, schob sie unter das Holz, suchte in seiner Hosentasche nach den Streichhölzern. Den Mantel um die Schultern geworfen, nahm er Platz und sah den im leichten Nachtwind züngelnden und größer werdenden Flammen zu.
    Sollte er es wirklich tun?
    Aus der Manteltasche zog er eine Orange, schälte sie und warf die Schale ins Feuer, wo sie sich zischend aufrollte und mit glühenden Rändern verglomm.
    Er hatte den Nachlass seiner Freunde Andrew Dickson White und Henry Charles Lea, Historiker wie er, geordnet, und das war ein Kinderspiel gewesen gegen das, was denjenigen erwarten würde, der einmal dazu verurteilt werden sollte, dieses, sein Chaos zu sichten! Es wäre eine einzige Zumutung!
    Langsam, nach und nach warf er ein Bündel Papier nach dem anderen ins Feuer. Es war eine einsame Tätigkeit und außerdem war er schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Irgendwann schlief George Lincoln Burr ein.

    Ein heller, blauer Frühlingshimmel stieg über Cornell herauf.
    Die ersten Studenten strebten über den Campus, schäkernd, lachend und diskutierend.
    »Was ist das da vorn?«, fragte eine der Studentinnen.
    Mitten auf einer der Wiesen vor dem Telluride-Haus stieg dünner, fädiger Rauch in die schon warme Luft des jungen Morgens.
    Es war ein seltsames Bild, das sich ihnen bot. Immer mehr kamen hinzu, sahen hinab auf den schlafenden Professor vor dem herabgebrannten Lagerfeuer.
    »Herr Professor!«, rief einer zaghaft.
    Aber Burr gab keine Antwort.
    Einer der jungen Männer trat aus der Gruppe, tippte leicht mit der Hand an den Oberarm des alten Mannes. »Aufwachen, Herr Professor!«
    Burr rührte sich immer noch nicht.
    Der Student zögerte, stupste ihn dann scheu an, schüttelte ihn vorsichtig, wurde ein wenig heftiger. Plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne und legte die Hand an Burrs Wange.
    Langsam wandte er sich dann an die Umstehenden, sah sie betroffen an.
    »Poppy ist tot!«, sagte er leise.

    Epilog

    George Lincoln Burr hatte es nicht geschafft, seine Spuren vollständig zu verwischen. Der Tod war schneller gewesen.
    Fünfzehn Stapel unverbrannter Papiere lagen noch rechts und links neben ihm. Was blieb, war unzusammenhängend, ließ sich nachträglich nur sehr schwer zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen: Landkarten, Bankauszüge, Mitgliedskarten, gesperrte Schecks, Wäschemarken, Eintrittskarten, Versicherungsschreiben, Rezepte und Platzkarten und Briefe, Briefe, Briefe. Hunderte von Briefen. Anfragen zu Kometenschweifen und Hexentränken, zu Erscheinungsdaten von Büchern, eingesandten Manuskripten, Bitten um seine Meinung, um Ratschläge für Dissertationen, um Kritik an Erstlingswerken, unzählige Bitten um persönlichen oder indirekten Beistand. Briefe von Verzweifelten, Entmutigten, Selbstmordgefährdeten, in der Seele Verletzten. Sie alle sahen in ihm eine Vaterfigur.
    Was Burr ihnen geantwortet hatte, erfuhren sein Freund und Biograf Roland Herbert Bainton und seine ehemalige Studentin Lois Oliphant Gibbons nur in Einzelfällen. Auf ihre Nachfragen erhielten sie die meist gleich lautende Auskunft:
    »Es war ein Brief an mich ganz persönlich!«

    George Lincoln Burr erlangte zeit seines Lebens nie einen akademischen Titel. Mit dem Aufbau der Witchcraft Collection innerhalb der White-Bibliothek in Cornell mit inzwischen weit über dreitausend Büchern und einzigartigen Dokumenten schuf er die Grundlage zur weltweit größten und bedeutendsten Sammlung über das Hexereiwesen und wurde zudem zu einem der profundesten Kenner der Materie. Vieles wäre ohne seine aufopferungsvolle und selbstlose Arbeit für uns und die Nachwelt wohl für immer verloren.
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