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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger
Autoren: Elmar Bereuter
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Standardwerk
    »Nova practica« und dessen Quellen zur Hexenfrage?
    Carpzow hatte weitgehend Binsfelds Theorie über
    Kinderhexen übernommen, Weyer abgelehnt, war dafür umso mehr der Argumentation und der Logik des »Hexenhammers«, den Schriften von Bodin, Remy und Del Rio verhaftet gewesen. Oder über Albizzi, den Kardinal, der fünfzehn angebliche Hexenkinder aus dem Schweizer Valsertal, denen in einem Zuber warmen Wassers die Pulsadern geöffnet werden sollten, nach Mailand bringen lassen und so vor dem sicheren Tod gerettet hatte?
    Schweiz! Schweiz… Basel! Ja, das war es.
    »Kommen Sie mit!«, forderte er seine Studentin auf.
    »Eigentlich wollte ich es selbst einmal in Angriff nehmen, aber mir fehlt die Zeit!«
    George Lincoln warf der jungen Frau neben sich einen kurzen Blick zu. Ja, Lois Oliphant Gibbons war dieser Arbeit würdig, er hätte sie nicht jedem seiner Studenten anvertraut.
    Und sie brachte noch etwas mit, was dafür sprach: Sie konnte Deutsch!
    Burrs Schritt verlangsamte sich, dann blieb er ganz stehen.
    »Miss Gibbons, wären Sie bereit, nach Europa zu reisen? Ich meine nicht sofort, sondern irgendwann in den nächsten Jahren?«
    »Vielleicht«, antwortete sie unsicher.
    »Sie werden es tun!«, sagte George Lincoln fröhlich.
    In seinem Arbeitszimmer öffnete er einen Schrank, holte etwas, das aussah wie ein gewichtiges Manuskript, heraus und legte es beinahe feierlich auf seinen Schreibtisch.
    »Hochnötige untertänige WEHMÜTIGE KLAGE der
    frommen Unschuldigen« stand auf dem Deckblatt.
    »Das hier«, sagte Burr, »ist die Abschrift eines Buches, das nichts bewirkt, nichts verändert und nichts bewegt hat. Also eigentlich ein völlig sinnloses Buch!«
    Burr machte eine Pause und sah die Enttäuschung im Gesicht seiner Studentin. Das hörte sich alles andere als aufregend an.
    »Ich kann Ihnen natürlich auch etwas anderes geben, wenn Sie möchten.«
    »Nein, nein!«, wehrte sie ab. »Ich meine nur, wieso ich…?«
    George Lincoln lächelte und legte seine Hand auf die Abschrift. »Das hier haben wir aus Basel in der Schweiz, gekauft am 22. Juli 1907 für einhundertachtundsiebzig Dollar und fünfundneunzig Cent. Abgeschrieben wurde es in Münstereifel, das ist bei Bonn, von einem Graf von Carnap, vermutlich einem Privatsammler.«
    Er schlug die erste Seite auf. »Hier ist ein Vermerk: Gymnasium zu Münstereifel. Von dort geliehen und
    abgeschrieben in der Zeit vom 12. Februar bis zum 9. März 1896.«
    »Wie kommt es nach Basel?«
    »Keine Ahnung. Ich vermute, es stammt aus einem Nachlass oder etwas Ähnlichem.«
    »Und wer ist der Autor?«, wollte sie wissen.
    »Ein Hermann Löher!«
    »Nie gehört!« Lois Oliphant versuchte ihre erneute Enttäuschung zu verbergen.
    »Unsere Bibliothek besitzt zwar inzwischen die weltweit größte Sammlung über die Hexenverfolgungen. Seltene Bücher, außergewöhnliche Literatur, Prozessakten, Traktate, Flugblätter aus ganz Europa und Amerika. Aber das hier ist einer der größten Fänge, den wir je gemacht haben, es ist etwas ganz Besonderes.«
    Sie war näher getreten und begann schräg von der Seite her zu entziffern.
    »Worin alle hohe und niedrige Obrigkeit samt ihren Untertanen klar und augenscheinlich sehen und lesen können, wie arme unschuldige und fromme Leute durch Feme und Ehrenraub von falschen Zauberrichtern angegriffen, durch die unchristliche Folter- und Peinbank von ihnen gezwungen werden, schreckliche Mord- und Todsünden auf sich selbst und andere zu nehmen und sie ungerecht und falsch zu
    verleumden.«
    Es folgte ein kleiner Absatz.
    »Welches auch die Herren Tanner, Cautio Criminalis und Michael Stappert eindrucksvoll bestätigen. Mit verschiedenen schönen Kupferstichen nach dem Leben zierlich abgebildet.
    Alles mit großem Fleiß und Mühe zum Trost und Heil der frommen christkatholischen Leute zusammengestellt: Durch HERMANNUM LÖHER, Bürger der Stadt
    Amsterdam. Gedruckt zu Amsterdam, unter Aufsicht des Autors bei Jacob de Jonge, anno 1676.«
    »De Jonge?«, fragte Gibbons.
    Burr nickte.
    »Richtig. Bei de Jonge wurden auch die niederländische Ausgabe der ›Cautio criminalis‹ und das Buch von Abraham Palingh gedruckt. Ich vermute, Palingh hat die beiden zusammengebracht! «
    Lois Oliphant hob die Abschrift hoch.
    »An die sechshundert Seiten!«, lächelte Burr.
    »Was ist das Besondere daran?«, wollte sie wissen.
    Die Augen des Professors glänzten, ja leuchteten geradezu.
    »Die ›Wehmütige Klage‹ ist ein einzigartiges
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