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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger
Autoren: Elmar Bereuter
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Kellnerin.
    »Gut! Nehme ich! Und eine Limonade!«
    Während Gibbons auf ihre Bestellung wartete, holte sie einen Stapel Bilder aus ihrer Umhängetasche und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus. Es waren Fotografien, die sie von Stichen hatte anfertigen lassen, Karten und Drucke.
    Das Foto einer Plastik von Teresa Feodorowna Ries, 1896, zeigte eine Besenhexe ihre Zehennägel schneidend auf einem Felsbrocken sitzend. Wilhelm Volz mit einer aus demselben Jahr datierten Zeichnung: Hexe auf einem Ziegenbock, in der Hand eine Mistgabel. Bei Hans Thomas »Hexenzug« flogen sie zudem noch auf einem Eber. Ein Jahr jünger eine anonyme Karikatur in drei Bildern: Hexe auf Besen, der Besen wandelt sich zum angedeuteten Fahrrad, das sich dann vervollständigt.
    1903 jagen zwei nackte Hexen durch die Luft, den mit einer Glocke ausgestatteten Besen halten sie wie einen
    Fahrradlenker, während sich unter ihnen ein Pärchen auf einem Tandem abstrampelt. Die Skulptur »Walpurgisnacht« von Ernst Herter. »Hexensabbat« von Hans Schräm, 1906: ein Mann mit zehn hübschen, ausgelassenen und wilden Feen, im Hintergrund eine teuflische Fratze. Bei Schmidhammer benutzt nur noch eine alte, hässliche Frau einen Eber, die Jugend fährt mit Rad und Automobil zum Sabbat. 1907, »Hexenschule« von Otto Greiner, eigentlich mehr eine Bordellszene für männliche Begierlichkeit. Aber auch Bilder aus dem Alltag sind dabei, herzlos die einen, berührend die anderen. Sie zeigen die Hässlichkeit des Alters und die Angst der Jüngeren, wie die
    »Dorfhexe« von Ludwig Knaus von 1885. Eine alte Frau mit Stock kommt auf den Dorfanger, ein kleiner Steppke wirft einen Stein nach ihr, ein anderer dreht ihr eine lange Nase, während eine zur Flucht bereite Mutter ängstlich ihre Kinder einsammelt. Das ernste, traurige Gesicht einer gebeugten
    »Alten Hexe« um 1913, zwei Jungen, die ihr offensichtlich einen Streich gespielt haben, verschwinden um die Ecke.
    Die Kellnerin brachte die Limonade, Lois Oliphant machte ein wenig Platz, ließ sich aber nicht weiter stören und bemerkte so auch nicht den abfälligen Blick der Bedienung auf die Bilder.
    Eine Szene in einer Folterkammer, vermutlich letztes Viertel des vorigen Jahrhunderts, von Ferdinand Piloty, in der der Henker der hübschen jungen Frau die Kleider vom weißen Leib reißt. Was Lois Oliphant daran störte, war der Dominikanermönch, der hier eigentlich nichts zu suchen hatte.
    Ebenso bei der Ablichtung eines Gemäldes einer
    Hexenverbrennung von Grobet, das im Hintergrund einen Kardinal und drei Bischöfe zeigte.
    Vermutlich hat er sich von einem Autodafé der spanischen Inquisition inspirieren lassen und einiges durcheinander gebracht, dachte sie. Für diese Annahme sprach auch die hohe Mütze, die eine der Verurteilten trug und wie sie bei den Massenhinrichtungen der Mauren und Juden in Spanien üblich war.
    »Einen guten Appetit!«, wünschte die Kellnerin, ehe sie sich wieder entfernte, nicht ohne vorher einen weiteren neugierigen Blick auf die Bilder zu werfen. Das Gemansche, das sich Kabusta nannte, sah zwar nicht sonderlich einladend aus, schmeckte jedoch wider Erwarten gar nicht so übel.
    Beim Verlassen des Lokals stieß Gibbons beinahe mit einem dieser braunhemdigen Uniformierten zusammen und ihr Herz flatterte hinauf bis zum Hals. Noch zu stark klebte das Erlebnis vom Morgen in ihrem Kopf. Der Mann aber lächelte nur freundlich und tippte kurz entschuldigend an seine Mütze. Sie lächelte verlegen zurück.
    Die Fahrt nach Rheinbach gestaltete sich kurzweilig, obwohl Lois Oliphant nicht alles verstand, was die untersetzte Frau neben ihr ohne Punkt und Komma dahinplapperte. Dass sie Amerikanerin war, schien die andere nicht sonderlich zu interessieren, und wo Ithaca lag, war ihr nicht zu vermitteln.
    Der Jobst, ein Schlosser aus der Dürenstraße, der sei ausgewandert, letztes Jahr, zu einer großen Autofirma nach Di… Di…
    »Detroit!«, half Lois Oliphant nach.
    »Genau! Hier ist es mit der Arbeit nicht gut. Mein Mann ist arbeitslos, mein Sohn ist arbeitslos, beide hängen nur herum und streiten sich. Der Mann ist für die Kommunisten, der Sohn für die Nazis. Wissen Sie was? Das ganze Gedöns um Demokratie und so, das kann mir doch gestohlen bleiben!
    Unter dem Kaiser hat man wenigstens gewusst, woran man war! Zuerst kommt der Bauch und dann von mir aus das andere, sage ich immer. Jetzt haben wir kaum etwas zu essen und die Alliierten wollen, dass das noch sechzig Jahre so bleibt.
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